Die Woche voraus:
Markt-Update von Allianz Global Investors

Anders als erwartet
Im Jahr 2025 ist bislang vieles anders gelaufen als erwartet.
Insbesondere erlitten die Märkte einen kräftigen Schock, als die US-Regierung am „Liberation Day“ ihre Pläne in der Zollpolitik bekannt gab. Die nächste Überraschung folgte auf dem Fuß, denn direkt danach vollzog Präsident Trump eine Kehrtwende, was eine beachtliche Kurserholung zur Folge hatte, die in vielen Fällen noch stärker ausfiel als der ursprüngliche Kurseinbruch.
Neben dem Auf und Ab an den Finanzmärkten ist in Bezug auf die US-Wirtschaft ein weiterer Punkt bemerkenswert: Die Zollerhöhungen haben sich entgegen den Erwartungen nicht unmittelbar auf die Inflation ausgewirkt. Vielmehr hat sich der Anstieg der Kernrate im Vergleich zum vorhergehenden Quartal in den vergangenen drei Monaten verlangsamt und ist jetzt so niedrig wie seit dem Beginn der Preissteigerungen nach der Coronapandemie nicht mehr. (Vgl. dazu die Grafik auf der nächsten Seite.)
In den vergangenen beiden Jahren hat die Inflation zwar immer wieder einmal zeitweilige Dellen durchlebt, sich dann aber wieder beschleunigt. Der jüngste Rückgang ist insbesondere deshalb überraschend, weil die Zollpolitik eigentlich auf höhere Preise deutet. Und die Unternehmen sind durchaus bereit, höhere Kosten weiterzugeben! In Umfragen zeigte sich durchaus deutlich, dass die Unternehmen mit einer Weitergabe der durch höhere Zölle ausgelösten Kostensteigerungen planen. Manche Unternehmen wollten die Kostensteigerungen in Gänze weitergeben, andere meinten, die Last solle zu etwa gleichen Teilen von den ausländischen Exporteuren, den US-Importeuren und den Endkunden getragen werden. Aber alle waren sich einig, dass die Kostensteigerungen nicht einfach stillschweigend übergangen werden sollten.
Wie lässt es sich also erklären, dass einerseits die Zölle ansteigen und sich andererseits die Verbraucherpreisinflation verlangsamt?
Erstens gelten die Zölle für zahlreiche unterschiedliche Güter, die nicht direkt an Endkunden verkauft werden. Daher ist auch nicht davon auszugehen, dass die Effekte in vollem Umfang auf die Verbraucherpreise durchschlagen.
Zweitens war die Zollerhöhung nicht das einzige makroökonomische Ereignis der vergangenen Monate. Insbesondere von der OPEC beschlossenen Steigerungen der Ölförderung haben dazu geführt, dass die Ölpreise im Vergleich zum Schlussquartal 2024 gesunken sind. Der Energiepreisrückgang hat also die Auswirkungen der Zollerhöhungen auf die Verbraucherpreise in gewissem Umfang abgefedert.
Drittens hat die Politik in einigen Fällen aktiv eingegriffen und Einzelhändler unter Druck gesetzt, ihre Preise nicht zu erhöhen, insbesondere nicht direkt nach der Zollerhöhung.
Und der vierte Grund ist womöglich der wichtigste: Die Unternehmen haben sich aktiv auf die neue Zollpolitik eingestellt und ihre Bestellungen von bestimmten Gütern, bei denen sie mit Zollanhebungen rechneten, Ende 2024 und in den ersten Monaten des Jahres 2025 deutlich erhöht. Deshalb verfügen sie jetzt über Lagerbestände, für die sie keine oder zumindest niedrigere Zölle entrichtet haben als sie jetzt von der US-Regierung angedroht wurden. So können sie die Auswirkungen der Zollsteigerungen zumindest so lange hinauszögern, wie sie noch über Bestände verfügen.
Aus Sicht der Märkte hat die niedriger als erwartete Inflation dazu beigetragen, dass mehr Optimismus herrscht und die Vermögenspreise seit April angestiegen sind. Insbesondere können die Marktteilnehmer jetzt in Betracht ziehen, dass die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) im weiteren Jahresverlauf möglicherweise die Zinsen senken wird – und das, obwohl sich die Fed in ihren Äußerungen nach wie vor sehr vorsichtig gibt. Je länger es dauert, bis der Effekt der Zölle zu spüren ist, desto wahrscheinlicher wird es, dass die Fed das Risiko von dauerhaften Auswirkungen auf die Inflation als moderat einschätzt. Insofern dürfte der Inflationspfad in den USA in den kommenden zwei bis drei Monaten weiterhin beträchtliche Auswirkungen auf die Märkte haben, auch wenn sich die Datenlage scheinbar kaum verändert.
US-Kern PCE: 3m / 3m annualisierte Rate

Quelle: Bloomberg, Daten vom 07.07.2025. Die frühere Wertentwicklung lässt nicht auf zukünftige Renditen schließen.
Die Woche voraus
In den USA werden die Verbraucher- und Produzentenpreise Aufschluss darüber geben, ob sich die Kernrate der persönlichen Konsumausgaben im Juni weiter dem Zielwert der Fed angenähert hat oder ob die Zollerhöhungen jetzt stärker durchschlagen. Der Markt rechnet sowohl bei der Gesamt- als auch bei der Kerninflation mit einer gewissen Beschleunigung. Die Industrieproduktion dürfte weiterhin schwach bleiben, die Einzelhandelsumsätze könnten sich dagegen nach einer zuletzt beobachtbaren Delle wieder erholen. Daneben stehen in den USA in der kommenden Woche Daten aus dem Immobiliensektor sowie Unternehmens- und Verbraucherumfragen an.
Im Euroraum macht die Industrieproduktion gerade eine Schwächephase durch, nachdem sie zum Ende des ersten Quartals kräftig zugelegt hatte. Nichtsdestotrotz fielen die jüngsten Unternehmensumfragen recht solide aus und deuten im Falle Deutschlands auf gestiegenen Optimismus hin. Der kommende ZEW-Index dürfte unter diesem Gesichtspunkt Beachtung finden.
Der Verbraucherpreisindex dürfte Aufschluss über das Tempo der Disinflation geben und von großer Bedeutung für die Zinsentscheidung der Bank of England bei deren nächster Sitzung im August sein.
China wird als erste größere Volkswirtschaft Daten zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) im zweiten Quartal veröffentlichen. Die chinesische Wirtschaft hat sich vor dem Hintergrund der Zollstreitigkeiten als bemerkenswert widerstandsfähig erwiesen, und das Wachstum dürfte wohl mit gut 5,0% gegenüber dem Vorjahr im zweiten Quartal robust bleiben.
Und zuletzt werden in Japan Daten zur Industrieproduktion und zum Handel veröffentlicht. Beide Datenreihen dürften eher für eine sich abschwächende Konjunktur sprechen.
Seien wir froh, dass nicht alle Überraschungen in diesem Jahr unangenehm waren!
Sean Shepley
Senior Economist