Die Woche voraus:
Markt-Update von Allianz Global Investors

Schwungverlust aus guter Position?
In Voltaires Roman „Candide“ verbreitet sich Dr. Pangloss gern darüber, dass die Welt die „beste aller möglichen Welten“ sei. Natürlich wäre es ganz falsch, EZB-Präsidentin Christine Lagardes Äußerung, die EZB befinde sich „in einer guten Position“, mit den Verstiegenheiten von Dr. Pangloss zu vergleichen. Nichtsdestotrotz hat sich der im Sommer vorherrschende Optimismus in Bezug auf den soliden Zustand der Wirtschaft im Euroraum inzwischen leicht abgekühlt.
Regelmäßig veröffentlichte offizielle Wirtschaftsdaten haben unter anderem den klaren Nutzen, dass man die eher stimmungsabhängigen Ergebnisse von Unternehmensumfragen anhand dieser Zahlen überprüfen kann. In den USA ist dies aufgrund der zeitweiligen Behördenschließungen („Shutdown“) derzeit nicht oder allenfalls verspätet möglich. Im Euroraum klappt es hingegen noch sehr gut. Insbesondere die Auftragseingänge in der Industrie und die Industrieproduktion deuten darauf hin, dass die Erholung zumindest an Schwung verliert oder womöglich sogar zum Stillstand kommt, da die Nachfrage teils vorgezogen wurde, um die höheren Zölle zu umgehen – und dementsprechend jetzt fehlt. Insofern erscheint der Anstieg des Einkaufsmanagerindex für das verarbeitende Gewerbe im Euroraum inzwischen ein bisschen übertrieben (vgl. dazu unsere Grafik der Woche). In der kommenden Woche wird sich die Aufmerksamkeit sicherlich stark auf diese Daten richten.
In Deutschland dürfte die Industrieproduktion im August durch die später als sonst liegenden Werksferien in der Autoindustrie gedämpft worden sein. Das erklärt aber nicht, warum die Auftragseingänge in der Autoindustrie so schwach ausfielen oder warum auch bei Pharmaunternehmen ein deutlicher Rückgang zu beobachten war. In einigen stark vom Handel abhängigen Ländern in Asien waren zuletzt ebenfalls Anzeichen für eine Exportverlangsamung zu erkennen. Das verstärkt das Gefühl, dass das verarbeitende Gewerbe zunehmend schwächelt. In gewissem Umfang schlägt sich dies auch in den EZB-Prognosen nieder. In der September-Prognoserunde ging die EZB von einem unveränderten BIP im dritten Quartal und danach einer langsamen Erholung hin zum Trendwachstum aus. Wahrscheinlich vertraut EZB-Präsidentin Lagarde auf dieses Szenario und ging daher bei der Pressekonferenz im September nicht intensiver auf die Frage ein, warum die EZB den Leitzins nicht senkte, obwohl sie damit rechnet, dass die Inflation unter dem Zielwert liegt. In einer Rede am 6. Oktober stellte EZB-Chefvolkswirt Philip Lane jedoch recht deutlich klar, dass die Aussichten für die Geldpolitik kurzfristig asymmetrisch sind: „Wenn die Wahrscheinlichkeit oder die Intensität von Abwärtsrisiken zunähmen, wäre dies ein gutes Argument dafür, den Leitzins zum Schutz des mittelfristigen Inflationsziels leicht zu senken. Sollte dagegen die Wahrscheinlichkeit oder die Intensität von Aufwärtsrisiken zunehmen, spräche dies dafür, dass es auf kurze Sicht angemessen wäre, den aktuellen Zinssatz beizubehalten.“
Bislang haben die Rentenmärkte im Euroraum sehr moderat auf diese Äußerungen reagiert. Die Märkte messen einer Zinssenkung bis zum Jahresende eine Wahrscheinlichkeit von unter 25% bei; bis zum kommenden März sehen sie die Wahrscheinlichkeit bei nicht einmal 50%. Möglicherweise ist die Konjunktur im Euroraum so robust, dass die abwartende Haltung der EZB gerechtfertigt ist. Unseres Erachtens ist es jedoch für die Anleger beruhigend, dass die Zentralbank angesichts der Inflationsverlangsamung Spielraum hat, um die Zinsen rasch senken zu können, falls aufgrund einer abnehmenden wirtschaftlichen Dynamik dringender Anlass zur Sorge gegeben ist.
EUR-Indikatoren für das verarbeitende Gewerbe

Quelle: Bloomberg Stand 13.10.2025
Die Woche voraus
In den großen Volkswirtschaften werden die Vorabschätzungen der Einkaufsmanagerindizes Aufschluss darüber geben, wie robust die Konjunktur wirklich ist. Insgesamt hat sich der Dienstleistungssektor besser von den Zollschocks im April erholt als das verarbeitende Gewerbe. Gleichzeitig erscheint – siehe oben – angesichts der jüngsten Zahlen zur Industrieproduktion im Euroraum eine gewisse Abschwächung möglich. Einerseits sind die Erwartungen für die Einkaufsmanagerindizes nicht allzu beeindruckend, andererseits ist es überraschend, dass die Indizes angesichts des Umfangs der US-Zollerhöhungen überhaupt noch so gut ausfallen.
Insgesamt lässt sich aufgrund des Shutdowns in den USA nur schlecht absehen, wann welche US-Daten veröffentlicht werden. Allerdings haben die US-Behörden dafür gesorgt, dass die Mitarbeiter des BLS zur Arbeit gehen können, damit der VPI für September festgestellt werden kann. Er soll am 24. Oktober veröffentlicht werden. Die Kernrate des VPI dürfte sich im Vormonatsvergleich kaum verändern, was bedeuten würde, dass die Auswirkungen der Zölle nicht verstärkt an die Verbraucher weitergegeben werden. Gleichzeitig verharrt die Inflation in den USA damit über dem Zielwert. Es ist bereits deutlich geworden, dass die Mitglieder des Offenmarktausschusses diese Situation unterschiedlich einschätzen. Falls der Shutdown endet, könnten zusammen mit dem Arbeitsmarktbericht für September weitere
US-Daten veröffentlicht werden. Der Arbeitsmarktbericht könnte gegebenenfalls rasch erstellt werden, da die Daten vor dem Shutdown wohl nahezu vollständig zusammengestellt waren. Daneben könnten in der kommenden Woche Daten zum Immobiliensektor veröffentlicht werden.
In Großbritannien könnte der VPI für September weiterhin auf eine Verlangsamung des Preisauftriebs im Dienstleistungssektor hindeuten. Sofern es aber nicht zu größeren Überraschungen kommt, wird die Bank of England ihre Entscheidungen wohl eher von dem im November anstehenden Haushalt abhängig machen als von den vorher veröffentlichten Daten. Und zuletzt dürfte sich die Inflation in Japan nach der Verlangsamung in den vergangenen Monaten stabilisieren. Die Inflationsrate liegt zwar seit über drei Jahren über dem Zielwert, aber die politische Unsicherheit dürfte die ohnehin zur Vorsicht neigende Bank of Japan in ihrem Vorgehen bestärken. Daher werden in nächster Zeit wohl die Argumente dafür überwiegen, dass keine weitere Zinsanhebung geboten ist.
Sean Shepley