Zins- und Zeitenwende meistern
Comeback der europäischen Märkte?

Viele Anleger hatten erwartet, dass Donald Trumps „Make America Great Again"-Agenda die Kurse von US-Aktien weiter beflügeln würde. Stattdessen haben die europäischen Aktienmärkte in den letzten Monaten wieder Rückenwind bekommen und ihre amerikanischen Pendants übertroffen. Unseres Erachtens unterstreicht diese Wende die Bedeutung eines diversifizierten und flexiblen Investmentansatzes, der durch Anlage in ein Multi-Asset-Portfolio realisiert werden kann.
Wichtigste Botschaften
- Der Wiederaufschwung europäischer Aktien deutet darauf hin, dass einige Anleger allmählich aus US-Titeln in Börsenwerte aus Europa umschichten. Jedoch ist noch ein weiter Weg zurückzulegen, da viele Anleger insgesamt weiterhin stark am US-Aktienmarkt investiert sind.
- Die Korrektur des ausgeprägten Fokus auf US-Technologieaktien sowie die Aussicht auf höhere Militärausgaben und Deregulierung in Europa haben die Stimmung gegenüber europäischen Aktien aufgehellt.
- Wir sehen die Chance, dass europäische Aktien weiterhin besser abschneiden als ihre US-amerikanischen Pendants. Allerdings könnte sich das Umfeld ändern, wenn der Handelskonflikt zwischen den beiden Regionen eskalieren sollte.
Die jüngste Erholung europäischer Aktien bei gleichzeitiger Unterperformance von US-Titeln hat eine veränderte Dynamik an den Börsen deutlich gemacht.
Die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten im November und seine „America First"-Agenda hatten einige Anleger zu der Annahme verleitet, dass US-Aktien ihren Höhenflug aufgrund des Versprechens weiterer Steuersenkungen und Deregulierung fortsetzen würden. Die Realität sah jedoch bisher anders aus, da die US-Regierung zu einer isolationistischen Haltung übergegangen ist und Importzölle als Teil einer Verhandlungsstrategie einsetzt. Die sich verändernde geopolitische Lage und das sich wandelnde Marktumfeld unterstreichen aus unserer Sicht die Bedeutung eines aktiven und diversifizierten Investmentansatzes. Ein Multi Asset-Portfolio stellt eine Möglichkeit dar, eine diversifizierte Anlage über Aktien und andere Assetklassen hinweg aufzubauen.
Der Stoxx Europe 600 Index ist in diesem Jahr bisher um rund 6 % gestiegen, während der US-Index S&P 500 um rund 10 % nachgegeben hat. Diese Entwicklung ist in Anbetracht des Marktumfelds ungewöhnlich und steht im Gegensatz zu einer 15-jährigen Periode, in der US-Aktien infolge hervorragender Gewinne Börsentitel aus anderen Ländern übertroffen haben. Dies gipfelte darin, dass das Kurs/Gewinn-Verhältnis in den USA auf das 1,9-fache des Niveaus in der übrigen Welt anstieg. Zumindest im Moment konzentrieren sich viele Anleger jedoch auf europäische Aktien. Unserer Meinung nach sind mehrere Faktoren für diesen Wandel verantwortlich:
- Korrektur des starken Fokus auf US-Technologieriesen: Technologieaktien aus den USA haben ein paar schwierige Wochen hinter sich. Auslöser war die Bekanntgabe von Fortschritten im Bereich KI durch das chinesische Startup-Unternehmen DeepSeek Ende Januar. Dies weckte bei Anlegern die Sorge, dass dadurch die Aussichten für die Nachfrage nach Highend-Halbleitern gefährdet werden könnten. Die Nachricht löste allgemeine Verunsicherung in Bezug auf die langjährige Überzeugung aus, dass US-Technologiefirmen weiterhin exponentiell wachsen und aufgrund ihrer Investitionsmöglichkeiten einen Wettbewerbsvorteil haben werden. Da die sieben dominierenden US-Tech-Giganten („Magnificent Seven“) rund ein Drittel der Marktkapitalisierung des S&P 500 Index ausmachen, haben einige Anleger begonnen, die damit verbundenen Konzentrationsrisiken skeptisch zu sehen und nach Wachstumsmöglichkeiten in anderen Marktsegmenten zu suchen.
- US-Zölle, Steuersenkungen und Deregulierung: Die Mehrheit der Anleger glaubte, dass US-Aktien wie in der ersten Amtszeit von Donald Trump auch weiterhin stärker steigen würden als Titel aus anderen Ländern. Stattdessen stellt sich inzwischen die Frage, ob Trump wirklich leicht sein Ziel erreichen wird, massive Entlastungen bei Steuern, Kürzung von Staatsausgaben und Deregulierungen vorzunehmen. Auch die jüngste Ankündigung von Zöllen in Höhe von 25 % auf Einfuhren aus Kanada und Mexiko sowie einer 20%igen Abgabe auf Importe aus China hat den US-Aktien keinen Auftrieb gegeben. Stattdessen haben Mexiko, Kanada und China im Gegenzug eigene Einfuhrzölle auf US-Waren erhoben. Auch infolgedessen sind die Kurse von US-Aktien in den letzten Tagen gesunken.
- Europäische Rüstungsausgaben: Wieder verbesserte Beziehungen der Vereinigten Staaten zu Moskau und die Gefahr eines NATO-Austritts der USA haben EU-Vertreter dazu veranlasst, den Militärausgaben Vorrang einzuräumen, um eine unabhängigere europäische Politik zu ermöglichen und das Wirtschaftswachstum anzukurbeln. So hat beispielsweise noch der alte deutsche Bundestag den Weg dafür freigemacht, bis zu 1 Billion Euro für die Stärkung des Militärs und der Infrastruktur auszugeben. Sobald sich dadurch Deutschlands Staatsverschuldung der anderer großer EU-Mitgliedsländer annähert, könnten Schritte in Richtung einer engeren Integration und sogar einer gemeinsamen Emission von Schuldtiteln innerhalb der EU wahrscheinlicher werden. All diese Faktoren dürften unserer Meinung nach den Kursen europäischer Wachstumsaktien Auftrieb geben, auch wenn gleichzeitig das Risiko allgemein höherer Zinsen für Staatsanleihen in der Region besteht.
- Deregulierung in der Europäischen Union: Da die neue US-Regierung eine Lockerung staatlicher Auflagen für Unternehmen anstrebt, muss auch die EU möglicherweise einige Vorschriften reformieren, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Weniger Bürokratie sollte sich positiv auf die Unternehmen und das Wachstum insgesamt auswirken. Eine Reihe von Vorschriften wurden bereits aufgeschoben, wie etwa die für die ESG-Berichterstattung von Unternehmen und die CO2-Abgaben für Automobile. Weitere sollten folgen, wenn die EU-Entscheidungsträger den Empfehlungen des ehemaligen italienischen Ministerpräsidenten Mario Draghi vom letzten Jahr folgen. Dieser hatte vorgeschlagen, eine neue Industriestrategie für die EU auf den Weg zu bringen, um zu verhindern, dass die Union hinter die USA und China zurückfällt. Angesichts der enormen Regulierungsdichte in der EU im Vergleich zu anderen großen Volkswirtschaften könnte selbst ein geringfügiger Abbau von Bürokratie bereits erhebliche positive Auswirkungen auf Wachstum und Produktivität haben.
Konzentrationsrisiken unterstreichen den Wert von Diversifizierung
Als Reaktion auf die jüngsten Entwicklungen haben Anleger begonnen, ihre Gewichtung in europäischen Aktien zu erhöhen. Dabei sind in der gesamten Branche hohe Mittelzuflüsse in entsprechende Aktienfonds zu verzeichnen, insbesondere ausgelöst von Beratern für auf Futures basierten Strategien. Doch es ist noch ein weiter Weg, um die Lücke zu schließen, denn der europäische Markt ist allgemein noch stark untergewichtet, sowohl global als auch historisch gesehen. Die Konzentration der Anlegerpositionen in den USA ist nach wie vor hoch; so machen US-Aktien rund 71 % des MSCI All Country World Index aus.
In diesem Umfeld sehen wir zahlreiche Chancen in Europa - sowohl bei Aktien als auch bei verzinslichen Anlagen – und zwar insbesondere in den Bereichen Rüstung, Chemie sowie Bauwesen, falls es zu einem Frieden zwischen Russland und der Ukraine kommt:
- Banken: Die Kreditinstitute sollten durch die jüngsten Entwicklungen besonders begünstigt werden. Robuste Erträge und die Aussicht auf Konjunkturanreize haben dem Bankensektor eine starke positive Dynamik verliehen. Die Aktienbewertungen in dem Sektor erscheinen im Vergleich zu US-Banken noch angemessen, und die Fusionsaktivität könnte zunehmen.
- Autoindustrie: Da die Risiken im Zusammenhang mit höheren Importzöllen inzwischen in den Kursen berücksichtigt sein dürften, erscheint der Sektor unterbewertet und geradezu billig. Gleichzeitig gewinnt die Autoindustrie an Dynamik und dürfte zusätzlichen Auftrieb erhalten, wenn sich die europäische Konjunktur wieder erholt.
- Staatsanleihen: Solange die geplanten staatlichen Ausgabenpakete noch nicht umgesetzt sind, sollte die Inflation in Europa schwächer bleiben als in den USA. Aus diesem Grund bevorzugen wir auf taktischer Ebene europäische Staatsanleihen. Unterdessen könnten Staatsanleihen aus Frankreich von Spekulationen über die Aussicht auf besser koordinierte Anleiheemissionen auf EU-Ebene profitieren.
Wieder mehr Optimismus hinsichtlich einer Konjunkturerholung und politischer Veränderungen in Europa könnte auch die Aussichten für den Euro verbessern. Wir glauben, dass die veränderten Aussichten zu einer Aufwertungstendenz des Euro gegenüber dem Schweizer Franken führen könnten; gleichzeitig könnte der Abwärtsdruck auf den Euro gegenüber dem US-Dollar nachlassen.
Auch wenn nach den jüngsten Entwicklungen eine kurzfristige Gegenbewegung möglich ist, sehen wir für die europäischen Märkte in den kommenden Monaten das Potenzial für weitere Impulse. Die Aussichten könnten sich im Fall eines dauerhaften Friedens zwischen Russland und der Ukraine weiter verbessern, was die Erwartung niedrigerer Energiepreise und geringerer Risikoprämien wecken könnte. Die anhaltende politische Unsicherheit und sich verschlechternde Konjunkturdaten in den USA könnten für Anleger ein weiterer Grund sein, Europa den Vorzug zu geben. Zwar könnte sich das Bild ändern, wenn Donald Trump seine Drohung wahr macht, 25 % Zölle auf Importe aus der EU zu erheben und damit den Handelskonflikt zu eskalieren. Insgesamt meinen wir aber, dass die jüngsten Verschiebungen an den Aktienmärkten einem aktiven und diversifizierten Ansatz bei der Vermögensaufteilung neuen Auftrieb verleihen.