Update Magazin II/2023
Tina, Bob und die KI
Industrieromantik war gestern. Und heute? Müssen sich Unternehmen und Investoren Themen wie künstlicher Intelligenz, Nachhaltigkeit oder Deglobalisierung stellen, um Entscheidungen für das Übermorgen zu treffen. Genau das Thema des diesjährigen Global Asset Management Kolloquiums.
Draußen Graffitis an den Wänden der Bahnstrecke, das polternde Ba-Bamm der Straßenbahnen. Drinnen in der Backsteinhalle eine hohe Decke. Und ein Kran – 10.000 Kilo trägt er, steht auf einem weißen Emaille-Schild. Und weiter: Fritz Voss KG Maschinenfabrik Köln-Ehrenfeld. Ein Schild, das eine Geschichte darüber erzählt, wie Unternehmen immer wieder vor der ewigen Aufgabe stehen, sich verändern und anpassen zu müssen. Damals waren es unter anderem Dampfmaschine und Kräne, denen Fritz Voss sich verschrieben hat. Heute ist die Halle ein beliebter Konferenzstandort. Trends verändern, fordern heraus. Damals Mobilität und Industrialisierung, heute KI oder Nachhaltigkeit. Unternehmen wie Investoren müssen diese Trends erkennen, verwerfen oder aufgreifen. Umso wichtiger, dass Investoren die vielen Facetten der Trends kennen und verstehen, um sie zu einer Erzählung für die Zukunft zusammenfügen zu können. Das Global Asset Management Kolloquium hilft genau dabei.
Das wirtschaftliche Umfeld zum Beispiel: Ingo R. Mainert, ist CIO Multi Asset Europe bei Allianz Global Investors, gibt einleitend zwei pragmatische Antworten auf die Fragestellung seines Vortrages: Fällt die Rezession aus? Wahrscheinlich nein. Und ist der Zins gekommen, um zu bleiben? Ja, und das ist auch gut so. Er spricht von einem möglichen „Muddlingthrough scenario“ im gedämpften Konjunkturausblick. Immerhin, auf der Habenseite steht die Rückkehr des Zinses. Damit dürften sich bei festverzinslichen Wertpapieren ex ante die Renditeerwartungen längerfristig wieder erhöhen. Beim Welt-Aktienmarkt dagegen beobachtet Mainert eine „ungesunde Schieflage“. Warum? Ein Beispiel: Mit rund 70 Prozent US-Anteil am MSCI Welt sei dieser ungenügend diversifiziert. Zudem störe der deutliche Zinsanstieg die relative Bewertung der Aktien. Deshalb wird aktuell in den Finanzmärkten ein neues Narrativ diskutiert: Aus „Tina (there is no alternative) wird Bob (bring on bonds)“.
Da passt es ins Bild, dass Manuela Thies, Head of Retail Multi Asset Management bei Allianz Global Investors, die Rückkehr der Diversifikationseffekte erwartet. Bedeutende Anlagethemen sind etwa das breite Fixed-Income-Spektrum sowie thematische Investments auf der Aktienseite, aber auch nachhaltiges Investieren bleibt ein Fokusthema.
Kein Wunder also, wenn die Investoren auch in Richtung Sustainable Emerging Markets Debts blicken. Richard House ist CIO EMD bei Allianz Global Investors. Er erklärt, dass ein Großteil des gesamten globalen Anleihemarktes von Regierungen aus Schwellenländern begeben wird. Und Nachhaltigkeit? GSS-Anleihen, ist sich House sicher, sind keine Modeerscheinung, sondern die Zukunft. GSS steht für Green Social Sustainable Bonds. Weltweit wurden bereits Anleihen im Wert von 350 Milliarden Dollar von Staaten begeben, wobei die Staaten der Schwellenländer etwa 75 Milliarden Dollar begeben haben. ESG werde Mainstream sein, sagt auch Nadia Nikolova, Lead Portfolio Manager Blended Finance bei Allianz Global Investors.
Nachhaltigkeit weiter gedacht bedeutet Impact Investing. Jenen Ansatz also, bei dem Geld gezielt allokiert wird, um ein bestimmtes Verhalten zu erwirken und gleichermaßen eine Rendite zu erwirtschaften. Dekarbonisierung sei ein unglaublicher Markt, sagt Martin Ewald, Lead Portfolio Manager Blended Finance Private Equity, Allianz Global Investors. Impact Investing werde oft mit Philanthropie verwechselt – aber im Kern ginge es darum, skalierbare Lösungen zu finanzieren.
Die großen Unbekannten – grundsätzlich kein Problem
Kein einfaches Umfeld also. Das wird auch in den Erklärungen von Daniel Stelter deutlich, Makroökonom, Strategieberater und Autor. Beispiel Europäische Union (EU): Das offizielle Wunschbild – die EU stehe in der Mitte, im Zentrum. Doch Zahlen belegten etwas anderes, so Stelter. Nur ein Beispiel: Im Jahr 2008 war die Wirtschaftsleistung der EU zusammen mit GB noch so groß wie die der USA. Im Jahr 2023 sind die USA enteilt. Für Stelter ist klar: Wir bleiben einfach stehen, andere werden wohlhabender. Es handele sich aber um einen schleichenden Niedergang, nicht um einen großen Knall.
Und dann ist da die KI – künstliche Intelligenz. Trägt sie zum Niedergang bei? Schaffen wir uns gar selbst ab, fragt Henning Beck, Hirnforscher und Neurowissenschaftler an der Universität Tübingen. Die Antwort fußt auch auf der Frage, wie unser Gehirn funktioniert. Das sei großartig, um in Kategorien zu denken. Quasi einen großen, schnellen Wurf mit etlichen Unbekannten zu landen. Allerdings sei das nicht sehr energieeffizient. Würde man eine Doktorarbeit am MIT mit KI schreiben, beliefen sich die Stromkosten auf zwischen 20.000 und 30.000 Dollar.
Die Gefahr, dass der Computer so wird wie der Mensch, ist nicht so groß wie die Gefahr, dass der Mensch so wird wie der Computer.
Die KI – eine übermächtige Maschine? Nein. Beck diktiert der Technologie ins Stammbuch: KI versagt bei unbekannten Daten, sie versteht Ursache und Wirkung nicht und habe kein semantisches Verständnis. Die Stärke des Systems käme vielmehr dann zum Tragen, wenn viele Daten vorliegen, die die KI analysieren und zu einem Destillat kondensieren könne. Und fast schon in einem Nebensatz, obwohl es der für Investoren in sich hat: Alle Krisen kamen aus dem Nichts. Kollege KI kann da nur mit den digitalen Schultern zucken. Das Gehirn dagegen sei gut bei schlechter Datenlage. Eine beruhigende Einschätzung für Investoren, die sich häufig in genau so einem Umfeld bewegen.
Was bleibt? Die Erinnerung an ein Zitat von Konrad Zuse, dem Erfinder des Computers: „Die Gefahr, dass der Computer so wird wie der Mensch, ist nicht so groß wie die Gefahr, dass der Mensch so wird wie der Computer.“ Wenn man so will, eine Erinnerung an die Leistungs fähigkeit des Denkens. Und eine Mahnung, nie aufzuhören, Fragen zu stellen. Sei es als Unternehmer, sei es als Anleger.