“Die Marktbedingungen sind günstiger für taktische und Relative-Value-Positionierungen, die grenz- und anlageklassenüberschreitende Spreadbewegungen über das Renditekurvenspektrum hinweg nutzen.
Sobald sich die Inflation und die Zinsen in den Kernländern stabilisieren, dürften Anleihen mit Renditeaufschlägen („Spreadprodukte“) bald folgen.“
Franck Dixmier
Global CIO Fixed Income
Fixed Income-Strategie: Ist 2023 ein gutes Jahr für einen Wiedereinstieg an den Märkten?
Nach den geradezu historischen Verschiebungen an den globalen Rentenmärkten stellen sich die Anleger vor allem die Frage, wie sie sich 2023 am Fixed Income-Markt positionieren sollten. Das Makroumfeld bleibt schwierig. Die Kerninflation könnte sich als hartnäckiger denn erwartet herausstellen, auch wenn sich die Gesamtinflation im Zuge einer Konjunkturabkühlung etwas verlangsamen könnte. Dennoch bestehen weiterhin gewisse Risiken. Die Märkte könnten in Bezug auf die Geldpolitik zwei Fehleinschätzungen unterliegen: Erstens könnten sie das Niveau unterschätzen, auf das die Zinsen ansteigen und auf dem sie einige Zeit verharren müssen, um die Inflation zu stabilisieren und zu dämpfen, und zweitens könnten sie unterschätzen, in welchem Umfang die Bestände an Vermögenswerten abgebaut werden müssen, die im Rahmen der quantitativen Lockerungen erworben wurden.
Die Zentralbanken werden derzeit an den Märkten als „Marktmacher an den Rentenmärkten“ oder „fiskalpolitische Underwriter“ der letzten Instanz wahrgenommen, und diesen Ruf werden sie wohl vorerst kaum ablegen können. Wenn die Erwartungen in Bezug auf die Liquiditätsversorgung und den „Vorrang der Fiskalpolitik“ korrigiert werden müssen, dürften die Kurse in den kommenden Monaten immer wieder kräftig schwanken.
Unseren hauseigenen Frühindikatoren zufolge wird das Wachstum der Weltwirtschaft in den kommenden Monaten unter der Trendrate verharren. Eine weltweite Rezession wird immer wahrscheinlicher, da die finanziellen Bedingungen restriktiver werden und die realen Einkommen der privaten Haushalte unter Druck stehen. In den Schwellenländern sind erste Anzeichen für eine Inflationsverlangsamung zu erkennen, und für viele Zentralbanken ist das Ende des Straffungszyklus nahe. Gleichzeitig werden sie von der deutlichen Aufwertung des US-Dollar und dem Rückgang der weltweiten Dollarliquidität in Mitleidenschaft gezogen.
Anlagen, die auf eine Verringerung von Zins-, Spread- und Wechselkursvolatilität abzielen
Der übertriebene Kurseinbruch britischer Staatsanleihen im Oktober 2022 hatte in mancherlei Hinsicht vor allem landesspezifische Gründe. Aber er hat auch gezeigt, dass die Anleger neben „hartnäckiger Inflation“ und „tiefer Rezession“ die „finanzielle Stabilität“ als mögliches Risiko ansehen müssen. Die künftige Entwicklung an den Rentenmärkten ist alles andere als klar; Kennzahlen für die implizite und realisierte Volatilität von Anleihen sind nach wie vor zu hoch und zu instabil, um nennenswerte, eindirektionale Risiken in den Portfolios einzugehen (Abbildung 2). Hier möchten wir einige Überlegungen vorstellen:
- In der derzeitigen Phase des Zins- und des Kreditzyklus ist die Makrounsicherheit hoch, so dass es wohl nicht an der Zeit ist, das Durations- oder Bonitätsrisiko deutlich zu erhöhen.
- Die Renditestrukturkurven für Staatsanleihen verlaufen in vielen Fällen recht flach oder sogar invers. Durch den Kauf von kurz laufenden Anleihen können sich die Anleger Renditeerträge sichern, die genauso hoch oder sogar noch höher sind wie diejenigen von langfristigen Anleihen. Kurzfristige Anleihen verringern die Portfoliovolatilität allerdings nicht besonders, da das kurze Ende der Renditestrukturkurven für Schocks anfällig ist, die sich aus einer Neueinschätzung des Endniveaus der Kurzfristzinsen ergeben können.
- Es könnte sinnvoll sein, kurz laufende Cash Bonds mit derivatebasierten Overlay-Strategien zu kombinieren, um die Zins-, Spread- und Wechselkursvolatilität zu minimieren. Allerdings kosten diese Absicherungsstrategien zunächst Geld und können Performanceeinbußen mit sich bringen.
- Das Engagement in kurz laufenden Unternehmensanleihen mit geringeren Zinsrisiken lässt sich auch mit Hilfe von variabel verzinslichen Anleihen („floating-rate notes“) erhöhen. Die Renditen von „Floaters“ sind tendenziell niedriger als diejenigen von fest verzinslichen Unternehmensanleihen; damit sie aufholen können, müssen die Zinsen mehrere Male in Folge steigen.
Abbildung 2: Kennzahlen für die erwartete bzw. realisierte Volatilität am Rentenmarkt sind gegenüber ihren jüngsten Höchstständen gesunken, aber immer noch hoch
Realisierte Volatilität (30 Tage, nachlaufend) von globalen Investment Grade-Anleihen und Optionen-implizierte Volatilität (30 Tage Vorlauf) von US-Staatsanleihen.
Quelle: Bloomberg und ICE BofA-Indizes. Allianz Global Investors. Stand: 31. Oktober 2022. Indexerträge in USD (abgesichert). Kennzahlen für realisierte Volatilität (30 Tage, nachlaufend) annualisiert. IG = Anleihen mit Investment Grade-Rating. l.A. = linke Achse. r.A. = rechte Achse. Auf der rechten Achse wird der Wert des MOVE abgetragen, eines renditekurvengewichteten Index für die normalisierte, implizite Volatilität von 1-Monats-Staatsanleihe-Optionen auf 2-, 5-, 10- und 30-jährige Kontrakte in den kommenden 30 Tagen. Ein höherer MOVE-Wert steht für höhere Optionspreise. Die frühere Wertentwicklung lässt nicht auf zukünftige Renditen schließen. Für mehr Angaben zu den zugrundeliegenden Indizes und wichtige Risikoerwägungen verweisen wir auf die Offenlegungen am Ende des Dokuments. Es ist nicht möglich, direkt in einen Index zu investieren. Indexerträge werden als Nettoerträge dargestellt, in die sowohl die Kursentwicklung als auch ggf. Erträge aus Dividendenausschüttungen eingehen; Gebühren, Maklerprovisionen und sonstige Aufwendungen für Investitionen sind nicht berücksichtigt.
Chancen einer Flucht in sichere Häfen
Inzwischen ist die Inflation der entscheidende Einflussfaktor, nicht mehr das Wachstum. Daraus ergeben sich weitere Chancen für flexible Anleihestrategien, die von Kursdiskrepanzen an den globalen Märkten profitieren können. Die Marktbedingungen sind günstiger für taktische und RelativeValue-Positionierungen, die grenz- und anlageklassen-überschreitende Spreadbewegungen über das Renditekurvenspektrum hinweg ausnutzen.
Einige Zentralbanken sind im Zinsanhebungszyklus weiter fortgeschritten als andere, und es zeigen sich erste Anzeichen dafür, dass sich die Prognosen für die Geldpolitik in unterschiedliche Richtungen entwickeln. Die Anleger könnten womöglich bald unter strategischen Gesichtspunkten langsam mehr Geld in denjenigen Kernmärkten investieren wollen, die von einer Flucht in sichere Werte profitieren könnten. Dabei handelt es sich um Länder, in denen die Zinsen bereits deutlich angehoben wurden, in denen die realen Renditen für längere Laufzeiten positiv sind und in denen im Vergleich zum wahrscheinlichen neutralen Zinsniveau ein hohes Endniveau der Leitzinsen erwartet wird.
Ungewöhnliche Entwicklungen im Blick behalten
Auch die quantitative Straffung sollte man nicht aus den Augen verlieren. Wenn die Zentralbanken ihre Anleihebestände rascher abbauen, könnte sich die Liquiditätssituation verschlechtern, und längerfristige Anleihen verhalten sich eventuell nicht so, wie es bei einer Flucht in sichere Vermögenswerte zu erwarten wäre
Nach den Turbulenzen am Gilt-Markt sollte man eine andere ungewöhnliche Entwicklung nicht ganz aus dem Blick verlieren. Möglicherweise heben die Zentralbanken zwar die Kurzfristzinsen weiter an, müssen aber quantitative Straffungen verschieben, um die Liquidität am langen Ende der Kurve wieder herzustellen. Dies könnten sie damit begründen, dass Anleihekäufe in einem solchen Umfeld nicht inflationstreibend wirken, weil sie die Kreditvergabe und den Konsum nicht unbedingt ankurbeln. Aber die Renten- und Devisenmärkte könnten das anders sehen und trotzdem unter Druck geraten.
Was nun? Erst einmal Investment Grade-Anleihen
Wenn sich die Inflation und die Zinsen in den Kernländern stabilisieren, sollten Anleihen mit Renditeaufschlägen („Spreadprodukte“) bald folgen. Im Kreditzyklus hat die Wende gerade erst eingesetzt, und die Auswirkungen der sinkenden Konsumnachfrage auf die Unternehmenssektoren sind erst seit Kurzem im vollen Umfang zu erkennen. Im Marktabschwung braucht es in der Regel Geduld; Analysen der Vergangenheit zufolge lohnt es sich gegebenenfalls drei Monate nach Beginn einer Rezession, mehr Kapital in Investment Grade-Anleihen zu investieren. Chancen können sich auch in folgenden Segmenten bieten:
- Die Renditen von nachhaltigen Anleihen, z.B. grünen Anleihen, die zumeist ein Investment Grade-Rating haben, sind wettbewerbsfähiger geworden. Infolge der Energiekrise dürften langfristig die Nachfrage nach und die Erträge von grünen und sozialen Anleihen ansteigen, auch wenn kurzfristig wieder verstärkt schmutzigere Energiequellen genutzt und Energiepreise gedeckelt werden, um die Lebenshaltungskostenkrise in den Griff zu bekommen.
- Hochzins-Unternehmensanleihen und Auslandsanleihen von Schwellenländern haben wieder zugelegt, können die laufenden Einnahmen abpuffern und potenziell attraktive langfristige Erträge bieten. Allerdings sind auch die Volatilitäts- und Ausfallrisiken bei solchen Vermögenswerten höher, weshalb ein aktives Management erforderlich ist.
Die Fundamentaldaten sind deutlich besser als vor früheren Rezessionen. Allerdings ist noch nicht klar, wie stark die Zinsen letztendlich angehoben werden und welche Konsequenzen dies für das Wachstum hat. Unser Ausblick spricht nach wie vor dafür, Betapositionen im Fixed Income-Bereich unterzugewichten und diese Untergewichtung allmählich durch Investitionen in Emittenten mit höherer Bonität abzubauen, wobei die Allokation geografisch nicht eingeschränkt werden sollte.