Zins- und Zeitenwende meistern
US-Zölle: Könnte der „Liberation Day" die Weltwirtschaft lähmen?

Mit der Ausrufung des „Liberation Day“ durch US-Präsident Donald Trump ist eine massive Erhöhung der amerikanischen Einfuhrzölle verbunden, was manche Investoren eine Strangulierung der Weltkonjunktur befürchten lässt. Wir gehen davon aus, dass die wirtschaftlichen Auswirkungen erheblich sein werden und mindestens 1 % der globalen Wirtschaftsleistung kosten. Im Fall einer weitere Eskalation des Handelskonflikts würde sich das Risiko einer Rezession deutlich erhöhen.
Kernbotschaften:
- Die Ankündigung der neuen US-Regierung unter Donald Trump, eine allgemeine Einfuhrabgabe von 10 % sowie höhere Zölle auf wichtige Handelspartner zu erheben, dürfte kurzfristig weitere Marktturbulenzen und eine Flucht in als sicher geltende Anlagen wie Gold und kurzfristige US-Staatsanleihen auslösen.
- Zwar wird vieles davon abhängen, inwieweit die Handelspartner der USA Gegenmaßnahmen ergreifen; dennoch dürfte bereits der gegenwärtige Stand der Zölle von Anfang April für eine erhebliche Delle im globalen Wirtschaftswachstum sorgen. Dabei dürfte die USA mit am stärksten betroffen sein. Gegenmaßnahmen mehrerer Länder könnten einen ausgewachsenen Handelskrieg auslösen und – in Verbindung mit einer Verschlechterung der Stimmung von Unternehmen und Konsumenten – die Welt in eine Rezession stürzen.
- In einem instabilen Marktumfeld bevorzugen wir derzeit europäische Aktien (gegenüber US-Titeln), den japanischen Yen, Gold und US-Staatsanleihen. In Anbetracht der vielen Wendungen, die ein globaler Handelskonflikt mit sich bringen dürfte, erwarten wir, dass sich weitere Marktchancen ergeben werden.
Die Einführung neuer US-Zölle anlässlich des von US-Präsident Donald Trump so bezeichneten „Liberation Day" hat die Sorge um das Risiko eines ausgewachsenen Handelskriegs geschürt, der die Weltwirtschaft aus der Bahn werfen könnte.
Am 2. April kündigte Trump weitreichende „reziproke" Zölle auf Einfuhren in die USA an - wahrscheinlich die höchsten seit den 1930er Jahren. Sie bestehen aus einer allgemeinen Einfuhrabgabe von 10 % sowie höheren Zöllen bei wichtigen Handelspartnern wie China (34 %), der EU (20 %) und Japan (24 %).
Es wird erwartet, dass zumindest einige Volkswirtschaften mit eigenen Zöllen auf US-Einfuhren und möglicherweise auch auf Dienstleistungen reagieren. Die USA haben außerdem einen Zoll von 25 % auf alle im Ausland hergestellten Autos angekündigt. Die jüngste Ankündigung folgt auf die Einführung von Zöllen in Höhe von 25 % auf alle Stahl- und Aluminiumimporte in die USA sowie auf Zölle in Höhe von bis zu 25 % auf Waren aus Mexiko und Kanada.
Die Aktienmärkte reagierten allgemein mit Kursrückgängen auf die jüngsten Nachrichten. Das Ausmaß der negativen Auswirkungen des Handelskonflikts ist noch unklar, und es ist wichtig, die Folgen nach Ländern gesondert zu bewerten. Einige Länder kommen relativ günstig bei den neuen Maßnahmen davon - beispielsweise Mexiko, Kanada und Indien. Andere dagegen hatten nicht mit so massiven Zöllen gerechnet, z.B. die Schweiz und Japan.
Auch wenn viel davon abhängt, inwieweit die US-Handelspartner Gegenmaßnahmen ergreifen oder Verhandlungen mit der Regierung Trump aufnehmen, dürften die von den USA angekündigten und bereits umgesetzten Zölle das globale Wachstum erheblich belasten. Auf kurze Sicht erwarten wir anhaltende Marktturbulenzen und eine Flucht in als sicher angesehene Assets wie Gold und kurzfristige US-Staatsanleihen.
Abgesehen von den direkten Auswirkungen auf die Handelsströme besteht der Haupteffekt der Zölle in der größeren handelspolitischen Unsicherheit (siehe Grafik 1). Diese macht es für Unternehmen in aller Welt schwieriger, kostspieliger und komplexer, Geschäfte zu planen und zu tätigen. Komplexere Produktionsketten und möglicherweise erheblicher Verwaltungsaufwand sind die Kernprobleme, mit denen sich Unternehmen in den kommenden Monaten auseinandersetzen müssen. Die Folge dürften höhere Preise für Waren und Dienstleistungen und damit stärkere Inflation sein – außerdem wird die allgemeine Konjunktur voraussichtlich leiden.
Grafik 1: Globale handelspolitische Unsicherheit hat Rekordhoch erreicht

Quelle: Matteo Iacoviello, Trade Policy Uncertainty Index; Stand: März 2025
Ausgewachsener Handelskrieg oder nur begrenzter Handelskonflikt? Zwei mögliche Szenarien
Zur Konkretisierung haben wir1 die möglichen Auswirkungen der Zölle auf das Wirtschaftswachstum und die Verbraucherpreisinflation in den wichtigsten betroffenen Volkswirtschaften über ein bis drei Jahre für zwei Szenarien abgeschätzt (siehe Grafik 2):
- Begrenzter Handelskonflikt: Die USA erhöhen ihre Zölle um 10-25%-Punkte (bzw. bis zu 60%-Punkte im Fall von China), und die betroffenen Länder ergreifen gezielte Gegenmaßnahmen. In diesem Szenario erwarten wir, dass nach der ersten Ankündigung Verhandlungen mit wichtigen Partnern stattfinden werden.
Die wirtschaftlichen Folgen wären beträchtlich und würden die Abwärtsrisiken für die Weltwirtschaft weiter erhöhen. Unter diesen Annahmen könnte es zu einem dauerhaften Rückgang der globalen Wirtschaftsleistung um mindestens 1 % und einem Anstieg der weltweiten Inflation um 0,7%- bis 1,5%-Punkte kommen. Unter den von uns analysierten Volkswirtschaften wären die USA mit einem möglichen kurzfristigen Wirtschaftsrückgang von bis zu 1,3 % mit am stärksten betroffen.
- Ausgewachsener Handelskrieg: Die US-Zölle steigen auf 60 % gegenüber China und um durchschnittlich 25%-Punkte gegenüber anderen Ländern, was weitreichende Gegenmaßnahmen nach sich zieht. In Kombination mit einer Zunahme von Handelshemmnissen über die Zölle hinaus würde dies zu einer stärkeren wirtschaftlichen Entkopplung zwischen den großen Handelsblöcken führen.
Eine anhaltende Eskalation von Zöllen und nichttarifären Hemmnissen (wie Einfuhrverbote oder strengere Handelsvorschriften) könnte die Weltwirtschaft innerhalb des nächsten Jahres in eine Rezession stürzen. Nach unseren Schätzungen könnten breit angelegte protektionistische Maßnahmen das US-BIP um 2 bis 4 % verringern. Das Abwärtsrisiko für die Weltwirtschaft sowie die EU und China könnte noch größer sein. In einem Extremszenario würde die globale Wirtschaft um 1,7-5,5 % schrumpfen und die Inflation um 1,5-3%-Punkte steigen.
Grafik 2: Wachstum und Inflation würden im Falle eines ausgewachsenen Handelskriegs stärker beeinträchtigt werden

Quelle: Allianz Global Investors Global Economics & Strategy, auf Grundlage von 29 Studien und Schätzungen aus verschiedenen Quellen, darunter IWF, OECD und Zentralbanken (US Federal Reserve, Europäische Zentralbank, Bank of Canada) sowie private Think Tanks.
Drohendes Risiko einer Stagflation
Unabhängig davon, welches Szenario sich materialisiert, agieren Unternehmen, die im grenzüberschreitenden Handel tätig sind, in einem völlig anderen Umfeld als vor dem Amtsantritt von Donald Trump im Januar. Wenn die neue US-Regierung mit ihren geplanten und angekündigten Erhöhungen fortfährt, würden die sich ergebenden Zölle selbst die höchsten Niveaus der 1930er Jahre übertreffen, als die damalige US-Regierung mit dem Smoot-Hawley Tariff Act weitreichende protektionistische Maßnahmen einführte.
Zusätzlich getrübt werden die Aussichten durch die restriktivere Einwanderungspolitik der USA (die das Arbeitskräfteangebot einschränkt) und Elon Musks Bestreben, die Effizienz der Staatsorgane zu erhöhen, was mit der Reduzierung von Arbeitsplätzen und anderen Ausgaben verbunden ist. Wichtig ist, dass diese Schritte noch vor dem Ausgleich durch geplante Steuersenkungen und Deregulierungen erfolgten. Vor diesem Hintergrund haben wir unsere Wahrscheinlichkeit einer US-Rezession im nächsten Jahr auf 35-40 % erhöht.
Selbst wenn eine Rezession vermieden wird, steigt unseres Erachtens die Wahrscheinlichkeit einer zumindest vorübergehenden Stagflation, in der geringere Wirtschaftsaktivität und steigender Preisdruck das Wachstum bremsen. Die Zentralbanken – insbesondere die US-Notenbank (Fed) – könnten damit zögern, die Zinsen entschieden zu senken, bis es klare Anzeichen für ein schwächeres Wachstum gibt. Dies könnte sie in Konflikt mit Trumps Plan bringen, den Kurs des US-Dollar zu drücken und die Zinsen zu reduzieren, um die US-Wirtschaft zu stützen. Angesichts der jüngsten Aktionen würde es uns nicht überraschen, wenn die Regierung Trump die Fed offen kritisieren oder sogar eine „Schatten-Notenbank" einrichten würde. Ein solches Szenario würde sich auf die Finanzmärkte sehr wahrscheinlich destabilisierend auswirken.
Mögliche Chancen in einem instabilen Markt
In einem schwierigen Umfeld für die Finanzmärkte, insbesondere für risikobehaftete Assets, sehen wir folgende Möglichkeiten:
- Bevorzugung europäischer Aktien gegenüber US-Titeln: Da US-Aktien die Hauptlast der jüngsten Korrektur an den Börsen zu tragen hatten, halten wir nach Chancen in Europa Ausschau. Der Erfolg dürfte davon abhängen, inwieweit die Marktteilnehmer die US-Zölle ignorieren und sich auf positive Aspekte konzentrieren, z.B. die ab 2026 zu erwartende fiskalpolitische Unterstützung. Hier scheinen die Aussichten günstiger zu sein, und die Bewertungen sind nach wie vor relativ vorteilhaft, da viele Investoren (insbesondere längerfristige institutionelle Anleger) an den Aktienmärkten Europas noch untergewichtet sind. Natürlich könnten neue US-Einfuhrzölle die Wettbewerbsfähigkeit der Region beeinträchtigen, aber die Politik von Donald Trump hat dazu beigetragen, die Regierungen der Europäischen Union zu einigen. Zusätzlicher Rückenwind kommt von der Wahrscheinlichkeit weiterer Zinssenkungen der Europäischen Zentralbank, während die US-Notenbank ihre Zinssenkungen früher als erwartet einstellen dürfte. Wenn sich der Kursrückgang in den USA fortsetzt, könnten sich dort zwar Kaufgelegenheiten auf Bewertungsebene ergeben. Doch im Moment gilt unsere Aufmerksamkeit Europa, wobei wir den Bankensektor bevorzugen.
- Fokus auf den japanischen Yen, während der US-Dollar schwächelt: Der Dollar hat bisher von politischen Unsicherheiten und internationalen Kapitalzuflüssen in US-Aktien wie die sieben Technologieriesen (Magnificent 7) profitiert. Doch im Zuge der Korrektur bei den einst so erfolgreichen US-Tech-Titeln hat auch der Dollar gelitten. In Anbetracht der Handelsstreitigkeiten halten wir eine weitere Dollarschwäche für möglich. Obwohl sich der US-Dollar in Krisensituationen typischerweise gut entwickelt, schneidet der japanische Yen in der Regel noch besser ab und scheint stärker gegen negative Impulse gewappnet zu sein. Die Inflation in Japan könnte sich leicht beschleunigen und die Bank of Japan dazu veranlassen, die Zinsen im Spätsommer zu erhöhen. Wenn die Renditen für japanische Staatsanleihen mit 10-jähriger Laufzeit stetig steigen, dürften mehr inländische Investoren Kapital repatriieren, was den Kurs des Yen stärken sollte. Ein wichtiger Faktor, den es dabei zu beobachten gilt, sind die Auswirkungen eines höheren Yen-Kurses auf japanische Unternehmen. Eine starke Aufwertung der Währung könnte Aktien aus Japan belasten, insbesondere angesichts der hohen US-Zölle auf japanische Importe.
- Gold und US-Staatsanleihen als „sicherer Hafen“: Von Gold sind wir nach wie vor besonders überzeugt, was auf die robuste Nachfragedynamik und seine Rolle als Absicherung gegen geopolitische Risiken zurückzuführen ist. Beruhigend ist auch, dass Goldbarren zu den Waren gehören, die von US-Zöllen ausgenommen sind, was deren Handelbarkeit unterstützt. Unserer Ansicht nach fungiert das Edelmetall als nützlicher Diversifikator in Multi-Asset-Portfolios. Der Goldpreis hat neue Höchststände erreicht, und wir glauben, dass die Nachfrage von Zentralbanken aus Schwellenländern sowie von Privatanlegern die Notierung weiter steigen lässt. Ein weiteres defensives Asset aus unserer Sicht sind US-Staatsanleihen. Sie haben von der zunehmenden Sorge um die Weltkonjunktur profitiert und sich erstmals seit fünf Jahren besser entwickelt als US-Aktien.
Diversifizierung: Mehrwert in einem sich rapide wandelnden Marktumfeld
Da der globale Handelskonflikt noch viele Wendungen nehmen dürfte, werden sich unseres Erachtens in den kommenden Monaten weitere Anlagemöglichkeiten ergeben. Weil Zölle und nichttarifäre Handelshemmnisse kurzfristig angekündigt, durchgesetzt und (wahrscheinlich) wieder revidiert werden, dürften die Marktteilnehmern die weitere Entwicklung kaum absehen können. Wir glauben, dass das Marktgeschehen in nächster Zeit turbulent bleiben wird, weshalb für manche Anleger auch der Handel mit Volatilität als Assetklasse in Betracht kommt. Der Handel mit Derivaten, die das künftige Niveau der Marktvolatilität antizipieren, stellte in der Vergangenheit eine gute Absicherung gegen Schwankungen an den Aktienmärkten dar. Zudem dürften sie die Möglichkeit zum Wiedereinstieg in die Märkte zu niedrigeren Kosten als Beta-1-Investitionen bieten.
Unseres Erachtens kann angesichts der derzeitigen Unsicherheit an den Finanzmärkten eine diversifizierten Anlagestrategie ihre Stärken ausspielen. Ein Portfolio, das sich nicht zu sehr auf eine einzelne Assetklasse oder ein bestimmtes Land stützt, dürfte Investoren in einem sich rapide wandelnden Marktumfeld gute Dienste leisten.
1 Gestützt auf 29 Studien und Schätzungen aus verschiedenen Quellen, darunter IWF, OECD und Zentralbanken (US Federal Reserve, Europäische Zentralbank, Bank of Canada) sowie private Think Tanks.