Thematisch Investieren
Die Zeitenwende und die vier Ds
Zeitenwende ist das Wort des Jahres 2022, Google wirft dafür über 7 Millionen Treffer aus. Auch bei der Kapitalanlage hinterlässt die Zeitenwende ihre Spuren. Vor allem, wenn man etwas tiefer schürft und die Megatrends mitdenkt. Trends also, die schon jetzt Einfluss auf Leben, Arbeiten und auch Kapitalanlage haben.
Hans-Jörg Naumer: Andreas, wir leben in spannenden Zeiten. Geopolitik, Inflation, Geldpolitik und Konjunktursorgen, all das schafft eine Menge Unsicherheit. Was sagst Du Investoren, die sich um ihre negative Realrendite Gedanken machen?
Andreas Fruschki: Dass sie zumindest den Kaufkrafterhalt anstreben sollten. Mit Anleihen allein werden sie das nicht hinbekommen. Gebraucht werden Aktien. Und dann bevorzugt solche Aktien, die dem inflationären Umfeld standhalten können und von langfristigen Trends profitieren.
Naumer: Aber in Sachen Konjunktur scheint ja noch nicht sicher zu sein, ob uns eine Rezession erspart bleibt…
Fruschki: Richtig, einige Unternehmen und Marktsegmente sind sicher mehr konjunktursensibel als andere, aber man darf das Gesamtbild nicht aus den Augen verlieren und man sollte etwas Zeit mitbringen. Die Geschäftsmodelle, auf die wir setzten, sind immer an aktuelle Trends und vorhersehbare Entwicklungen geknüpft und sollten daher an Relevanz gewinnen. Früher oder später sollte sich dies dann auch in überdurchschnittliche Firmengewinne und Bewertungen.
Naumer: Wenn wir auf die politische wie auf die Investment-Landschaft schauen, scheint sich alles auf vier Ds reduzieren zu lassen. Genauer gesagt: Auf De-Globalisierung, Demographie, Digitalisierung und Dekarbonisierung.
Fruschki: Die von dir genannten vier Ds sind eine gute Kategorisierung, die sich mit unseren Megatrends sehr gut verzahnt. Ein Beispiel: Dekarbonisierung sehe ich unter dem Megatrend der Ressourcenknappheit. Demographie und Digitalisierung stecken bei uns ja genau drin. Und Deglobalisierung ist teilweise ein von der Digitalisierung getriebener Trend, teilweise ein von der Politik befeuerter Prozess. In der Summe also die vier Ds, die großen, langfristigen Trends, die unser Leben, Arbeiten und sicher auch unsere Kapitalanlage beeinflussen werden.
Technologie, aber kein Tech-Bias
Naumer: Digitalisierung & Co., schwingt da nicht auch eine deutliche Tech-Lastigkeit mit?
Fruschki: Tatsächlich wird thematisches Investieren ja sehr gern als tech- und damit als growth-lastig verstanden. Das muss aber nicht so sein. Ganz im Gegenteil. Wir haben zum Beispiel früh auf Energie der Zukunft und Infrastruktur gesetzt. Das sind weniger growth-orientierte Segmente. Darüber hinaus konnten wir auf dem Value-Trend gut aufsetzen, indem wir unsere aktuelle Themenauswahl mit vorwiegend substanzstarken Unternehmen abgebildet haben – diesen Freiheitsgrad zu haben und ihn zu nutzen ist wichtig.
Naumer: Schauen wir auf die Demographie, eines der vier Ds. Die Daten und Schätzungen der WHO zeigen, dass die Menschheit immer älter wird und keine Region ausgenommen ist2.
Fruschki: Stimmt. Und dazu ein weiterer Gedanke: Wenn immer weniger Menschen relativ zur Weltbevölkerung im berufstätigen Alter sind, dann kommen zum Beispiel die intelligenten Maschinen gerade richtig. Aber Demographie spiegelt sich in unserem Portfolio auch direkt wider, etwa mit Themen wie Gesundheitstechnologie, Haustier-Ökonomie, Digitales Leben aber auch jene intelligenten Maschinen, die immer mehr Arbeit übernehmen, die von Menschen nicht mehr erledigt werden kann.
Naumer: Die Weltbevölkerung wird aber nicht nur älter, sie wächst auch noch weiter. Um gut 3 Milliarden soll sie bis 2100 zulegen auf dann 11 Milliarden3. Mehr Menschen, mehr Wachstum - ich werde oft gefragt, ob wir uns das überhaupt noch leisten können.
Fruschki: Für mich als Investor ist eine wachsende Erdbevölkerung, die dazu auch noch immer langlebiger, gesünder, besser ausgebildet und produktiver wird, zunächst einmal eine uneingeschränkt gute Nachricht für die nächsten Jahrzehnte. Unbeschadet kurzfristiger Konjunkturschwankungen bietet dies die Grundlage für viele verschiedene längerfristige Wachstumstrends oder Themen an denen man auch als langfristiger Investor teilhaben sollte.
Naumer: Wenn wir über die vier Ds sprechen – ist das alles in Stein gemeißelt?
Fruschki: Wichtig scheint mir generell zu sein, Flexibilität zu haben. Die Megatrends wirken zwar noch lange fort, aber die optimalen Zeitfenster für die unterschiedlichen Investmentchancen verschieben sich stetig. Geopolitik, Zinsen, Konjunktur, das alles atmet und man muss daher auf veränderte Sachlagen im Zeitablauf reagieren. Thematisches investieren für mich heißt nicht starres investieren, sondern erfordert zwingend die Möglichkeit für aktives Eingreifen und Anpassen, insbesondere wenn sich das Umfeld schlagartig ändert.
Das Interview fand auf dem Fondskongress in Mannheim und in Wien statt und wird an dieser Stelle gekürzt wiedergegeben.
1 Spiegel, „‘Zeitenwende‘ ist das Wort (…)“, Dezember 2022
»Zeitenwende« ist das Wort des Jahres 2022 - DER SPIEGEL
2 WHO, „Ageing and Health“, Oktober 2022
Ageing and health (who.int)
3 UN, „Weltbevölkerung wächst immer langsamer“, Juli 2022
Weltbevölkerung wächst immer langsamer - Vereinte Nationen - Regionales Informationszentrum für Westeuropa (unric.org)