Nachhaltigkeitsdaten zielgerichtet nutzen
Eine starke eigene ESG1-Datenarchitektur ist die wichtigste Grundlage für das Verständnis und die Abwägung der Nachhaltigkeitswirkung und finanziellen Rendite von Anlagen. Die Herausforderung besteht darin, aus der enormen Menge an verfügbaren Nachhaltigkeitsdaten wertvolle Erkenntnisse für Anlageentscheidungen und messbar positive Veränderungen zu gewinnen.
Das Wichtigste in Kürze
- Die Berücksichtigung nichtfinanzieller Faktoren bei Anlageentscheidungen wird zunehmend zur Norm. Was die Ansätze und Methoden angeht, ist die Entwicklung jedoch noch nicht am Ende.
- Unserer Ansicht nach brauchen globale Asset Manager eine eigene ESG-Datenstrategie, um den aktuellen und künftigen Anforderungen an Daten, Portfoliokonstruktion und Berichterstattung gerecht zu werden.
- Unser Sustainability Methodologies and Analytics Team geht die Herausforderungen der Auswahl, Zusammenführung und Anwendung von Daten über börsennotierte und außerbörsliche Anlageklassen hinweg strategisch an.
- Unsere neue Sustainability Insights Engine – kurz SusIE – ist eine hauseigene Datenplattform für ein besseres Verständnis von ESG-Daten.
In den letzten Jahren haben ESG-Anlagen in der Asset-Management-Branche nicht nur enorm an Bedeutung gewonnen, sondern auch erhebliche Veränderungen mit sich gebracht. Mit dem wachsenden Anlegerinteresse haben ESG-Erwägungen zunehmend auch Eingang in die Regelwerke der Aufsichtsbehörden gefunden. Gleichzeitig haben die Pandemie und geopolitische Schocks die Anleger zu einem Umdenken in Bezug auf Nachhaltigkeitsinvestitionen gezwungen. Die Frage, wie Nachhaltigkeitsdaten am besten erfasst und genutzt werden, ist jedoch noch nicht abschließend beantwortet.
Angesichts der Vielzahl verfügbarer Daten und Datenquellen können Asset Manager ohne einen gut durchdachten Ansatz für den Umgang mit ESG-Daten leicht überfordert sein. Allianz Global Investors hat ein eigenes Team, das Anlegern hilft, die Flut von Nachhaltigkeitsdaten – ESG-Bewertungen und -Ratings, Leistungsindikatoren (KPIs), Informationen zu Kontroversen – zu bewältigen. Damit tragen wir der Tatsache Rechnung, dass ein effektiver Umgang mit ESG-Daten zu einer strategischen Notwendigkeit geworden ist.
Alles überall auf einmal
Die Offenlegung von ESG-Daten hat in den letzten Jahrzehnten enorm zugenommen. Von den größten Unternehmen der Welt berichten heute die meisten über Nachhaltigkeit (siehe Abbildung 1). Hinter diesem Wandel stehen vor allem zwei Faktoren: das Anlegerinteresse und der Regulierungsdruck.
Unternehmen haben dem Anlegerinteresse an der Berichterstattung über Nachhaltigkeit oder soziale Verantwortung (CSR) durch Rahmenwerke von Branchenorganisationen wie dem Carbon Disclosure Project2, der Global Reporting Initiative3 oder dem Sustainability Accounting Standards Board4 Rechnung tragen können.
Abbildung 1: Anteil der globalen Unternehmen mit Nachhaltigkeitsberichten, 1993-2022
Quelle: KPMG International5
Der zweite und vielleicht sichtbarere Faktor ist die jüngste Welle von Regulierungsinitiativen an den Kapitalmärkten. Regionale und nationale Aufsichtsbehörden haben Regelwerke für die Offenlegung von Nachhaltigkeitsinformationen durch Unternehmen eingeführt. Ein Beispiel ist das Rahmenwerk der Europäischen Kommission zur Offenlegung der wichtigsten nachteiligen Auswirkungen auf Nachhaltigkeit (Principal Adverse Impacts, PAI). Die PAI-Indikatoren und -methoden ermöglichen Vergleichsanalysen potenziell abträglicher Investitionen.6 Wir rechnen mit einer Fortsetzung dieser Entwicklung im Regulierungsbereich, vor allem außerhalb Kontinentaleuropas.
Die Zahl der Unternehmen, die zur Offenlegung von ESG-Daten verpflichtet sind, und das Ausmaß der ESG-Berichterstattung dürften in den nächsten Jahren weiter zunehmen. Bei der Klimaberichterstattung zum Beispiel ist eine deutliche Ausweitung von Scope 1- und Scope 2-Emissionen auf ein weitaus breiteres Spektrum von Faktoren zu beobachten, das neben Scope 3-7 und Methanemissionen auch CO2-Kompensationsprojekte und sogar Governance-Faktoren umfasst. Eine derart erweiterte Offenlegung wird eine bessere Quantifizierung von Fortschritten ermöglichen, zum Beispiel im Hinblick auf Netto-Null-Ziele, die Taxonomiekonformität oder den Anteil nachhaltiger Investitionen8. Je mehr Informationen bereitgestellt werden, desto sorgfältiger und selektiver werden alle Stakeholder vorgehen müssen, um sicherzustellen, dass ihre Bemühungen nicht an wenig aufschlussreichen Analysen scheitern.
Zu viel des Guten?
Aus Anlegersicht kann schon die aktuell verfügbare Datenmenge eine Überforderung darstellen, zumal es immer mehr Quellen von Nachhaltigkeitsdaten und Methoden für ihre Erfassung gibt. Wir rechnen damit, dass die Menge und Komplexität der Daten in den kommenden Jahren nochmals exponentiell zunehmen werden. Die größte Herausforderung ergibt sich aus der Bereitstellung von Daten durch immer mehr unregulierte Datenanbieter, von denen es unseren Schätzungen zufolge inzwischen bereits mehr als 1.000 gibt (siehe Abbildung 2). Unterschiedliche Standards bei der Datenerfassung, -interpretation, -methodik und -bereitstellung führen zu unterschiedlichen Ergebnissen in Bezug auf Messgrößen zu Risiko, Nachhaltigkeit, Wirkung oder Kontroversen.
Diese Komplexität und mangelnde Einheitlichkeit ist messbar: Während die Korrelationen zwischen den Ratings der etablierten Finanzratinganbieter bei mindestens 94%9 liegen, sind die Korrelationen zwischen den Ratings der großen ESG-Datenanbieter deutlich geringer und uneinheitlicher – wie das CFA Institute im Jahr 2021 hervorhob (siehe Abbildung 3).
Abbildung 2: Wachstum der Anbieter von ESG-Ratings und -Rankings
Quelle: Allianz Global Investors. * Prognose.
Abb. 3: Korrelation von ESG-Ratings (%)
Quelle: CFA Institute10
SusIE – unsere hauseigene Nachhaltigkeitsdaten-Plattform
Die Finanzbranche brauchte mehrere Jahrzehnte, um sich auf die International Financial Reporting Standards (IFRS) zu einigen. Nun versuchen wir, dasselbe für nichtfinanzielle Standards in einem Bruchteil der Zeit zu erreichen. Wir bei AllianzGI sind davon überzeugt, dass die Auswahl und Aggregation von Nachhaltigkeitsdaten einen sehr spezifischen und eigenen Ansatz erfordert.
Aus diesem Grund haben wir im Jahr 2021 das Sustainability Methodologies and Analytics Team eingerichtet und mit der Entwicklung einer transparenten und robusten digitalen Architektur betraut. Bei dieser jetzt eingeführten Architektur handelt es sich um unsere Nachhaltigkeitsdaten-Plattform SusIE (kurz für Sustainability Insights Engine).
SusIE unterstützt die Bereitstellung von ESG-, Nachhaltigkeits- und Impact-Daten – mit den zugehörigen Perspektiven und Ansichten – für unsere Investmentexperten. Dazu gehört ein solider Ansatz für die Abgrenzung von Datenquellen, die effiziente Zusammenführung von Daten und die Bereitstellung dieser Daten in klaren und kommerziell einsetzbaren Front-Office-Tools. SusIE wurde entwickelt, um die Einführung neuer Daten, die Bereinigung redundanter Daten und die Anpassung an neue Produktangebote für Kunden zu unterstützen. Ein Beispiel ist das neue Net-Zero-Alignment-Toolkit, das im weiteren Jahresverlauf 2024 eingeführt werden soll.
Abbildung 4: Beispielhaftes ESG-Profil von AllianzGI SusIE für Unternehmen A im Versicherungssektor
Das Bild stammt aus dem SusIE-Dashboard, das die ESG-Screening- und -Kontroversen-Bewertungen für verschiedene Faktoren zeigt.
Wie wir bei der Datenauswahl für SusIE vorgehen
Wir schätzen die kognitive Diversität der verschiedenen Ansätze am Markt, und sie hilft uns, unbeabsichtigte, implizite Verzerrungen in den Modellergebnissen zu verhindern. Ein disziplinierter Umgang mit den verschiedenen Datenquellen ist jedoch unverzichtbar. Dafür teilen wir die Datenanbieter in drei große Kategorien ein11:
- Generalisten – diese bieten ein umfassendes Angebot an ESG-Dienstleistungen, einschließlich Rohdaten, Peer-Analysen, ESG-Bewertungen und qualitativen Analysen zu ESG-Faktoren.
- Spezialisten – sehr detaillierte und spezifische Daten und Einschätzungen bzw. Nischenangebote (z.B. zu Small-Caps, privaten Märkten) oder spezielle Themen (z. B. Biodiversität, soziale Wirkung).
- Technologien – neuartige Dienstleistungen und Analysen auf der Grundlage alternativer Datenerfassungstechniken wie künstliche Intelligenz oder natürliche Sprachverarbeitung (z. B. zukunftsgerichtete Messgrößen, eine umfassendere Abdeckung investierbarer Universen, Nachrichtenfilter und wirklich unabhängige Rohdatensätze).
Gerüstet für eine von ESG-Technologien geprägte Zukunft
Die einzige Konstante in jeder Form von Technologie ist der Wandel und wir bereiten uns auf Veränderungen vor. Wir sehen derzeit drei wichtige Elemente der weiteren Entwicklung von ESG-Daten und ihrer Integration in eine robuste und widerstandsfähige ESG-Datenstrategie:
- Weiterentwicklung der Datenerfassung weg von der derzeitigen Abhängigkeit von gekauften Daten. Neue Technologien werden mehr Möglichkeiten für die Nutzung alternativer und unabhängiger Datenquellen eröffnen und so mehr Perspektiven erfassen. In einem wahrscheinlichen künftigen Hybridmodell dürften hochwertige Rohdaten durch externe Experteneinschätzungen ergänzt werden.
- Leistungsstarke Engines und effiziente Datenverarbeitung zur Bewältigung des Datenvolumens. Dazu gehören die Bereinigung, der Abgleich, die Berechnung und die Umwandlung von Daten sowie die Aufteilung separater Quellen auf konsistente, standardisierte Datensätze. Detailliertere Umwelt-, Sozial- und Governance-Kennzahlen werden als Grundlage für Anlageentscheidungen und die Asset Allokation dienen und helfen, die Kundenerwartungen an die Berichterstattung zu erfüllen.
- Risikobewertungen werden von neuen Techniken profitieren. Das Durchforsten von Unternehmensberichten ist mittlerweile üblich. Durch neue Technologien, die auf die gesamte Wertschöpfungskette eines Unternehmens angewendet werden, wird jedoch ein umfassenderes und vorausschauenderes Verständnis der wesentlichen Risiken erreicht. Eine ganzheitlichere Messgröße der idiosynkratischen nichtfinanziellen Risiken wird eine bessere Diversifikation dieser Anlagerisiken ermöglichen.
Nachhaltigkeit braucht eine solide Datenarchitektur
1 ESG = Environmental, Social and Governance – Umwelt, Soziales & gute Unternehmensführung.
2 Carbon Disclosure Project – www.cdp.net/en
3 Global Reporting Initiative – www.globalreporting.org
4 Sustainability Accounting Standard Board – www.sasb.org
5 Quelle: KPMG Survey of Sustainability Reporting 2022, KPMG International, September 2022. Die weltweite Stichprobe der Top 5.800 Unternehmen umfasst die 100 umsatzstärksten Unternehmen aus 58 Ländern bzw. Rechtsordnungen – insgesamt 5.800 Unternehmen. Die 250 größten Unternehmen der Welt sind die 250 umsatzstärksten Unternehmen der Welt auf der Grundlage der Fortune 500-Rangliste 2021.
6 Weitere Beispiele sind die EU-Richtlinie 2014/95/EU zur nichtfinanziellen Berichterstattung sowie die vorgeschlagene Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD).
7 Scope 1, 2, 3 sind verschiedene Kategorien von Treibhausgasemissionen, wobei Scope 3 die Emissionen von Kunden umfasst, die die Produkte des Unternehmens verwenden. https://www.weforum.org/agenda/2022/09/scope-emissions-climate-greenhouse-business/
8 Der Anteil eines Fonds, der gemäß der Definition der EU-Offenlegungsverordnung (SFRD) als nachhaltig gilt.
9 Studie zu den langfristigen Kreditratings von Standard & Poor’s, Moody’s und Fitch Ratings für 400 Unternehmen in 24 Branchen, Kevin Prall, „ESG 7. Ratings: Navigating Through the Haze,“ Blogpost des CFA Institute, 10. August 2021
10 Studie zu den ESG-Ratings von 400 Unternehmen in 24 Branchen, Kevin Prall, „ESG Ratings: Navigating Through the Haze,“ Blogpost des CFA Institute, 10. August 2021
11 Für die Zukunft rechnen wir mit einer vierten Kategorie nicht formalisierter Datenquellen, wie z. B. öffentliche Quellen, NGOs, Artikel der allgemeinen Presse oder aus Fachmedien sowie Branchenverbände, die Datensätze ergänzen oder in Bewertungen einfließen könnten.