Wie schöpferisch ist Disruption wirklich?

Dekarbonisierung, Digitalisierung & Co. – Trends, die Wirtschaft und Geldanlage gleichermaßen verändern. Für die Wirtschaftsweise Veronika Grimm ist dabei vor allem eines wichtig.
Große Geschichten gehören auf große Bühnen. So wie in Mannheim. Dort im Congress Center Rosengarten ging es auf besagter großer Bühne vor über 900 Zuschauern um Themen wie Disruption, Degrowth oder Dekarbonisierung. Um jene großen Entwicklungen, die die Welt verändern und die Art und Weise, wie die Menschen arbeiten. Um abstrakte Fragen, die nach ganz konkreten Antworten rufen. Die lieferte unter anderem eine Wirtschaftsweise. Doch von Anfang an.
Anlagealtmeister Warren Buffett sagte einmal, man solle nie in etwas investieren, von dem man nichts verstünde1. Entsprechend ernst nehmen Fondsmanager wie Andreas Fruschki, Head of Thematic Equity bei Allianz Global Investor, die Analyse und das Verständnis der großen Themen. Denn konkrete Anlageideen lassen sich aus diesen großen Themen erst dann sinnvoll destillieren, wenn auch deren Facetten und Verästelungen klar sind.
Eine komplexe Aufgabe, die manchem Angst machen könnte. In seinen Gesprächen mit Unternehmenslenkern beispielsweise stieße er nun öfter auf Unsicherheit, sagt Fruschki. Kein Wunder, immerhin handelt es sich um weltweit ablaufende Disruptoren, so fasst Dr. Hans-Jörg Naumer, Director Global Capital Markets & Thematic Research bei Allianz Global Investors, die Begriffe auf der Bühne zusammen. Sie bringen Veränderungen mit sich, die die Wirtschaft prägen werden, aber auch die Geldanlage treffen.
Ein Trend, viele Facetten
Legt man beispielsweise das Thema Digitalisierung auf den Labortisch, sind intelligente Maschinen eines der möglichen Destillate. Das wiederum beinhaltet Facetten wie Robotik oder Automatisierung samt der dazugehörigen Software. Diese Automatisierung dürfte in Unternehmen weiter an Gewicht gewinnen, etwa wegen der Lohninflation. Schon jetzt sind in vielen Regionen der Welt die ehemals billigen Arbeitskräfte nicht mehr ganz so billig. Entsprechend sollten effizientere Abläufe oder die Optimierung der Lieferkette in den kommenden Jahren wichtige Impulse für das Thema Intelligente Maschinen sein. Bestimmte Unternehmen können von diesen Veränderungen profitieren. Für Fruschki und seinen breit streuenden Themenfonds Allianz Thematica spannend sind dabei die „pure plays“, Unternehmen mit einer möglichst hohen Sensitivität gegenüber den Entwicklungen. In den zugespitzten Worten von Naumer. „Wer in Aktien investiert, kann am Ende die Roboter für sich arbeiten lassen.“
Ein anderes Beispiel für einen großen Trend mit vielen Facetten ist der demografische Wandel. Diese Entwicklung führt zum weltweiten Schwinden des Bevölkerungsanteils der 14-bis 65-jährigen. Es handelt sich dabei um genau jene Menschen, die in der Regel dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. In einigen Ländern ist der Trend stärker ausgeprägt, wie etwa in China. Etwas glimpflicher kommen wiederum beispielsweise die USA davon – doch dieser Trend regiert weltweit. Ein Trend, der Folgen etwa für das potenzielle Wachstum hat. Mit Blick etwa auf Deutschland sagt Professor Veronika Grimm, Mitglied des Sachverständigenrats und damit Wirtschaftsweise: „Durch den Renteneintritt der Babyboomer wird das Produktionspotenzial massiv gedämpft.“ Entsprechend wichtig sei zum Beispiel eine Weiterbildung der bestehenden Arbeitskräfte. Der Befund der alternden Gesellschaft trifft auf alle entwickelten Volkswirtschaften zu. Vaclav Smil, emeritierter Professor der Universität Manitoba, spricht daher auch von einer „grand transition“, einer großen Verschiebung2.
Für Fondsmanager Fruschki ist daher klar: Beides, Demografie wie Digitalisierung, sind Dimensionen einer „schöpferischen Disruption.“ Man könnte auch sagen, beide Themen hängen miteinander zusammen. Wie, skizziert die Wirtschaftsweise Grimm auf der Bühne. „Wir müssen gegen den demografischen Wandel arbeiten“, sagt sie. „Dabei hilft die Automatisierung, die die gezielte Substitution von Arbeitskräften unterstützt, dort wo das möglich ist.“
Auch das Thema Dekarbonisierung zählt zu diesen Disruptoren. Inflationsbereinigt sorgt das exponentielle Wachstum der globalen Wirtschaftsleistung (BIP) weltweit für mehr Wohlstand, aber auch für eine massive Zunahme der Kohlendioxid-Konzentration in der Erdatmosphäre. Dekarbonisierung tut daher not, der Ausbau erneuerbarer Energien. „Wir können Wachstum und Ökologie verbinden“, sagt Grimm. „Die Industrie in Deutschland ist führend, um klimaneutrale Wertschöpfungsketten mit aufzubauen.“ Und wird konkret. „Dabei geht es beispielsweise um Technologien zur Flexibilisierung an Strommärkten, aber auch um Wassererzeugung oder Energie-Logistik. Wir haben hier eine einmalige Chance: Der globale Handel mit erneuerbarer Energie wird komplett neu aufgebaut – Deutschland kann hier von Anfang an mitwirken und mitgestalten.“
Großes greifbar machen
Wenn also die großen Begriffe mehr miteinander zu tun haben, heißt es sich bei der Geldanlage an Buffett zu orientieren: Nachzufragen, Verbindungen nachzuverfolgen, den einzelnen Facetten nachzuspüren. Oder in den Worten von Fruschki: „Man kann sie herunterbrechen, so dass sie letztlich investierbar werden - vom Megatrend über Themen und Unterthemen zu einzelnen Aktien.3“ Beispiel erneuerbare Energien: Es ginge nicht nur um Wachstum, sondern um profitables Wachstum, so Fruschki. Viele Firmen hätten es in den vergangenen zwei Jahren nicht geschafft, Wachstum auch in Gewinne umzumünzen. Dazu kam, so der Thematica-Fondsmanager, dass vor gut zwei Jahren an der Börse zu viele Vorschusslorbeeren verteilt worden seien. Nun aber sei ein so hohes Maß an Enttäuschung eingepreist, dass der richtige Zeitpunkt für eine Anlage in erneuerbare Energien gekommen sein könnte.
Die Disruption ist schöpferisch? Aus Sicht der Anleger schon – wenn zuvor die Hausaufgaben erledigt werden.
Das Gespräch zwischen Professor Dr. Veronika Grimm, Dr. Hans-Jörg Naumer und Andreas Fruschki fand auf der Bühne des Fondsprofessionell Kongress in Mannheim statt.
1 Börse Stuttgart, „7 Börsenweisheiten von Warren Buffett“, Boersenweisheiten Warren Buffett | Börse Stuttgart (boerse-stuttgart.de)
2 Vaclav Smil, „Grand Transitions“, Oxford University Press, 2023
3 Allianz Global Investors, „Die Macht der Megatrends“, 2022 retail: https://de.allianzgi.com/de-de/b2c/ueber-uns/auszeichnungen/die-macht-der-megatrends