Zusammenfassung
Die entwickelten Länder bekommen den Coronavirus-Ausbruch anscheinend langsam in den Griff. In den Schwellenländern dagegen verschärft sich die Lage derzeit, und zahlreiche ausländische Anleger sind vorsichtig geworden. Was das für Anleger bedeutet analysiert Stefan Scheurer, Senior Investment Strategist.
- Die Schwellenländer machen derzeit eine humanitäre Krise durch, die ihre Gesundheitssysteme überlasten könnte. Gleichzeitig müssen sie die wirtschaftlichen Schäden begrenzen
- Durch geld- und fiskalpolitische Maßnahmen können die Schwellenländer Liquidität bereitstellen und finanzielle Risiken verringern; sie können sich jedoch nicht gegen Angebots- und Nachfrageschocks schützen
- Schwellenländer haben in beträchtlichem Umfang Fremdwährungsschulden aufgenommen, was hohe Liquiditäts- und Solvenzrisiken mit sich bringt und sie für plötzliche Umschwünge bei der globalen Risikobereitschaft anfällig macht1
- Vorsicht scheint mit Blick auf die Türkei, den Nahen Osten und Afrika geboten; Russland und Brasilien könnten dagegen besser dazu in der Lage sein, ihren Verbindlichkeiten nachzukommen1
- Die Aktienbewertungen liegen in den Schwellenländern weit unter dem historischen Durchschnitt, woraus sich attraktive langfristige Anlagechancen ergeben könnten1,2,3
Während die Schwellenländer noch mit dem Coronavirus zu kämpfen haben, ziehen ausländische Anleger Kapital ab
Als Reaktion auf die Coronavirus-Pandemie haben zahlreiche Schwellenländer landesweite Ausgangssperren verhängt, was wiederum schwerwiegende Folgen für ihre Bürger und für ihre Volkswirtschaften hat. Zudem besteht die Gefahr, dass die Gesundheitssysteme der Schwellenländer – die häufig von vornherein nicht so gut ausgestattet sind wie in den entwickelten Ländern – durch das Virus überlastet werden. All dies gibt ausländischen Anlegern Anlass zur Sorge, deren Kapital im vergangenen Jahrzehnt zu einem kräftigen Anstieg der Verschuldung im staatlichen und privaten Sektor geführt hat. Die Grafik zeigt, dass die Coronavirus-Krise einen stärkeren Abzug von ausländischem Kapital aus den Schwellenländern ausgelöst hat als frühere Krisen.2
Durch den Kapitalabzug gerät die Zahlungsbilanz (also der Saldo von Kapitalzu- und -abflüssen) beträchtlich unter Druck, und die Devisenreserven der Schwellenländer werden stark in Anspruch genommen. (Durch Kapitalzuflüsse erhalten die Schwellenländer dringend benötigte Devisen, insbesondere US-Dollar.)
Zudem ist die staatliche und private Verschuldung in den Schwellenländern, insbesondere in China, aufgrund der seit Jahren „lockeren“ Geldpolitik (u.a. niedrige Zinsen) angestiegen.
„Daten der Bank für Internationalen Zahlungsverkehr vom April 2020 zufolge beläuft sich die in US-Dollar denominierte Verschuldung aller Schwellenländer (einschließlich Chinas) auf knapp vier Billionen US-Dollar und die Staatsverschuldung im Verhältnis zum BIP liegt in den Schwellenländern (ausgenommen China) auf dem höchsten Stand seit Jahrzehnten.“
Zudem müssen zahlreiche Schwellenländer mehr Geld für den Schuldendienst aufbringen. Laut dem International Institute of Finance müssen im Jahr 2020 Schwellenländeranleihen im Wert von rund 730 Milliarden US-Dollar refinanziert werden, wovon über 80% in US-Dollar denominiert sind. Die hohe Fremdwährungsverschuldung bringt für zahlreiche Schwellenländerunternehmen und -regierungen beträchtliche Liquiditäts- und Solvenzrisiken mit sich und macht sie anfälliger für plötzliche Umschwünge in der globalen Risikobereitschaft.1,2
Die Schwellenländer müssen also nicht nur eine historische Pandemie bewältigen und Möglichkeiten finden, um ihre Unternehmen und Bürger finanziell zu unterstützen, sondern sich daneben auch noch neue ausländische Finanzierungsquellen erschließen. Daraus ergeben sich Chancen für ausländische Anleger, die allerdings ihrerseits aktiv vorgehen und etwaige Investitionsgelegenheiten sorgfältig auswählen sollten.1,2,3
Glücklicherweise haben wichtige Institutionen bereits Unterstützungsleistungen auf den Weg gebracht; so stellt der Internationale Währungsfonds (IWF) knapp eine Billion US-Dollar bereit. Allerdings ist dies nur ein Bruchteil der 2,5 Billionen US-Dollar, die nach Auffassung des IWF zur Stabilisierung der Volkswirtschaften in den Schwellenländern erforderlich sind. Über 90 der 189 IWF-Mitgliedstaaten haben seit Beginn des Coronavirus-Ausbruchs finanzielle Unterstützung beantragt – mehr als je zuvor in der 75-jährigen Geschichte des IWF.
Für eine wirtschaftliche Erholung der Schwellenländer muss nicht nur das Virus effektiv eingedämmt werden, sondern es werden auch fiskal- und geldpolitische Maßnahmen zur Begrenzung der dauerhaften wirtschaftlichen Schäden benötigt.
Die Schwellenländer haben bereits beträchtliche Maßnahmen ergriffen, deren Umfang allerdings je nach Land sehr unterschiedlich ausfällt. Einige Beispiele (Stand: April 2020):
- Brasilien hat ein umfangreiches Fiskalpaket in Höhe von rund 3,6% des BIP angekündigt.
- Chile plant ein noch größeres Konjunkturpaket im Umfang von 4,8% des BIP.
- Polen will fiskalischen Stimulus im Wert von 9% des BIP bereitstellen.
- Indonesien will seine bisherigen Ausgabengrenzen sprengen und einen Anstieg des Defizits auf 5% des BIP zulassen.
- Zum Vergleich: Die USA haben ein Ausgabenpaket in Höhe von 8,3% des BIP sowie zusätzliche Garantien und Kredite im Wert von 2,4% des BIP verabschiedet. Die Europäische Union allerdings hat mit angekündigten Fiskalpaketen (einschließlich Krediten und Bürgschaften) im Wert von knapp 21% des BIP klar die Nase vorn.
„Die Zentralbanken in den Schwellenländern verfolgen die expansivste Geldpolitik seit 15 Jahren; allein für März 2020 hat unser Research über 20 Zinssenkungen in den Schwellenländern verzeichnet.“
Außerdem greifen Schwellenländer-Zentralbanken von Polen bis Südafrika zu denselben unkonventionellen geldpolitischen Maßnahmen, die in den Industrieländern seit Jahren angewendet werden. Die Geldpolitik kann Angebots- und Nachfrageschocks kaum abpuffern, ist aber insofern von Bedeutung, als sie die Unternehmen mit Liquidität versorgen und finanzielle Risiken reduzieren kann.
Das ist jetzt für Anleger wichtig1,3
- Wir können nicht vorhersagen, wie sich das Coronavirus auf die Volkswirtschaften der Schwellenländer auswirken wird; die Risiken scheinen jedoch zuzunehmen.
- Die Konsequenzen sind direkt im Dienstleistungssektor und im verarbeitenden Gewerbe zu spüren, weil die Aktivität in der Industrie durch die Eindämmungsmaßnahmen auf ein Minimum zurückgefahren wird und globale Wertschöpfungsketten unterbrochen wurden.
- Anleger in Schwellenländeranleihen sollten bei Ländern, die in relativ großem Umfang von ausländischem Kapital abhängig sind, Vorsicht walten lassen. So muss z.B. die Türkei hohe Fremdwährungsschulden refinanzieren, und Länder im Nahen Osten und in Afrika (die häufig große Ölexporteure sind) haben ihre Währungen an diejenigen von entwickelten Ländern gekoppelt. Investitionen in Ländern wie Russland oder Brasilien sind gegebenenfalls lohnender, da diese Staaten besser dazu in der Lage sind, ihren in US-Dollar denominierten Verbindlichkeiten nachzukommen – auch wenn ihre Währungen im Vergleich zu anderen Schwellenländerwährungen deutlich abgewertet haben.1,3
- Die Schwellenländer benötigen nach dem Coronavirus-Ausbruch und den Kapitalabflüssen mehr ausländisches Kapital.
- Aufgrund der Kapitalabflüsse und der verbreiteten Risikoaversion erscheinen die Aktienbewertungen jetzt realistischer. Das zyklisch bereinigte KGV (CAPE; unsere bevorzugte Kennzahl für Aktien) von Schwellenländeraktien liegt inzwischen deutlich unter dem historischen Durchschnitt. Daraus ergeben sich attraktive langfristige Chancen für die Anleger. 1,2,3
- Aktive Anleger können Chancen in ausgewählten Schwellenländern wahrnehmen, während die weltweiten Maßnahmen gegen das Coronavirus noch anhalten. Insgesamt wird wahrscheinlich weiter Anlagekapital aus den Schwellenländern abgezogen, das Tempo könnte sich jedoch verlangsamen. In Einzelfällen könnte es sogar zu einer Umkehr der Kapitalströme kommen. So sind laut EPFR, einem Anbieter von Daten zu Fondskapitalflüssen, seit Anfang 2020 knapp 10 Mrd. US-Dollar netto in Fonds für den chinesischen Aktienmarkt geflossen. Allerdings lässt sich nur schwer sagen, ob dies ein vorübergehendes Phänomen oder ein längerfristiger Trend ist. Falls es jedoch in der zweiten Jahreshälfte zu einer globalen Konjunkturerholung kommt, sollten sich auch die Aussichten für die Schwellenländer verbessern.1,2,3
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1 Soweit wir in diesem Dokument Prognosen oder Erwartungen äußern oder die Zukunft betreffende Aussagen machen, können diese Aussagen mit bekannten und unbekannten Risiken und Ungewissheiten verbunden sein. Die tatsächlichen Ergebnisse und Entwicklungen können daher wesentlich von den geäußerten Erwartungen und Annahmen abweichen. Es besteht unsererseits keine Verpflichtung, Zukunftsaussagen zu aktualisieren.
2 Die frühere Wertentwicklung ist kein verlässlicher Indikator für künftige Ergebnisse.
3 Ein Erfolg der Strategie kann nicht garantiert und Verluste können nicht ausgeschlossen werden.
Investieren birgt Risiken. Der Wert einer Anlage und Erträge daraus können sinken oder steigen. Investoren erhalten den investierten Betrag gegebenenfalls nicht in voller Höhe zurück. Soweit wir in diesem Dokument Prognosen oder Erwartungen äußern oder die Zukunft betreffende Aussagen machen, können diese Aussagen mit bekannten und unbekannten Risiken und Ungewissheiten verbunden sein. Die tatsächlichen Ergebnisse und Entwicklungen können daher wesentlich von den geäußerten Erwartungen und Annahmen abweichen. Es besteht unsererseits keine Verpflichtung, Zukunftsaussagen zu aktualisieren. Die frühere Wertentwicklung ist kein verlässlicher Indikator für künftige Ergebnisse. Wenn die Währung, in der die frühere Wertentwicklung dargestellt wird, von der Heimatwährung des Anlegers abweicht, sollte der Anleger beachten, dass die dargestellte Wertentwicklung aufgrund von Wechselkursschwankungen höher oder niedriger sein kann, wenn sie in die lokale Währung des Anlegers umgerechnet wird. Die dargestellten Einschätzungen und Meinungen sind die des Herausgebers und/oder verbundener Unternehmen zum Veröffentlichungszeitpunkt und können sich – ohne Mitteilung darüber – ändern. Die verwendeten Daten stammen aus verschiedenen Quellen und wurden als korrekt und verlässlich bewertet, jedoch nicht unabhängig überprüft; ihre Vollständigkeit und Richtigkeit sind nicht garantiert. Es wird keine Haftung für direkte oder indirekte Schäden aus deren Verwendung übernommen, soweit nicht grob fahrlässig oder vorsätzlich verursacht. Bestehende oder zukünftige Angebots- oder Vertragsbedingungen genießen Vorrang. Dies ist eine Marketingmitteilung herausgegeben von Allianz Global Investors GmbH, www.allianzgi.de, eine Kapitalverwaltungsgesellschaft mit beschränkter Haftung, gegründet in Deutschland; Sitz: Bockenheimer Landstr. 42-44, 60323 Frankfurt/M., Handelsregister des Amtsgerichts Frankfurt/M., HRB 9340; zugelassen von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (www.bafin.de). Die Vervielfältigung, Veröffentlichung sowie die Weitergabe des Inhalts in jedweder Form ist nicht gestattet; es sei denn dies wurde durch Allianz Global Investors GmbH explizit gestattet. COMM-368 | 1133719 | 5128
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- In der Vergangenheit haben zyklische Sektoren normalerweise gut abgeschnitten, wenn sich die Wirtschaft nach einem Abschwung stabilisierte hat und wieder gewachsen ist.1
- Die langfristigen, säkularen Wachstumschancen des Technologiesektors und des Gesundheitswesens in der Phase nach dem akuten Coronavirus-Ausbruch spiegeln sich bereits in den Marktkursen wider.
- Während die expansive Geld- und Finanzpolitik einen wirtschaftlichen Abschwung mildern kann, haben die Ereignisse der letzten Tage auch ihre Grenzen aufgezeigt
- Aus Anlegersicht bieten ausgewählte Hochzinsanleihen („gefallene Engel“) und die nachlaufenden zyklischen Sektoren (u.a. Teile des Energie- und des Finanzsektors und sogar des Reise- und Freizeitsektors) derzeit wohl die attraktivsten Risiko-Ertrags-Chancen.2,3
- In Krisenzeiten sind aktive Strategien an den Finanzmärkten besonders hilfreich, und das gilt auch für die aktuelle Pandemie.1,3