Embracing Disruption

Digitaler Darwinismus: Die neue Disruption

Digitaler Darwinismus: Die neue Disruption

Zusammenfassung

Disruption gibt es seit eh und je. Jetzt stehen wir jedoch am Beginn einer neuen digitalen Ära, in der das evolutionäre Prinzip des „survival of the fittest“ gilt. Wir haben verschiedene Schlüsselthemen – von Klimatechnologie bis hin zu Künstlicher Intelligenz – identifiziert, die den derzeitigen Wandel grundlegend vorantreiben. Disruption wird so aus Sicht der Anleger zu einem zentralen Thema, das in den Portfolios berücksichtigt werden sollte.

Zentrale Aussagen

  • Disruption beschränkt sich nicht mehr allein auf den Technologiesektor: Aufgrund transformativer Fortschritte bei Hard- und Software sowie bei „Big Data“ greift sie auf alle Lebensbereiche über
  • Die durch die neuen Technologien ausgelösten, tiefgreifenden Veränderungen führen zu einem „digitalen Darwinismus“. Das Streben nach Dominanz wird neue Gewinner hervorbringen und neue Chancen für die Anleger schaffen
  • Der Kampf um eine technologische Vormachtstellung zieht weitere Kreise: Geopolitische Spannungen dürften zunehmen, wenn verschiedene Länder um die Kontrolle der weltweiten Daten konkurrieren
  • In einem solchen Umfang kann Disruption durchaus nervös machen. Aber die Anleger können von dieser globalen Verschiebung profitieren und neues Wachstumspotenzial für sich erschließen: Thematisches Investieren und Nachhaltigkeit eröffnen Möglichkeiten für die Zukunft

Es ist sinnvoll, sich noch einmal vertieft mit dem Thema Disruption zu befassen. Bisher wurde der Begriff vor allem mit dem Technologiesektor und dort insbesondere mit den neuen Plattformen assoziiert, mit deren Hilfe wir inzwischen auf ganz andere Weise Taxis bestellen, eine Bleibe mieten, Essen liefern lassen usw. Inzwischen führen transformative Fortschritte bei Hard- und Software sowie die schiere Menge an Daten dazu, dass disruptive Kräfte in immer mehr Lebensbereichen zum Tragen kommen. Dieser Prozess vollzieht sich inzwischen in exponentiellem Tempo.

¨ Und so entsteht in gewisser Weise ein „digitaler Darwinismus“, der weltweit zu erkennen ist: Einige Unternehmen werden untergehen, andere werden sich dominante Marktanteile sichern können – und möglicherweise kommt es sogar zu geopolitischen Verschiebungen. Ähnlich wie der Evolutionsprozess, auf den die obige Bezeichnung zurückgreift, findet der digitale Darwinismus gleichsam auf Zellebene statt und verändert die Welt, in der wir leben. Aus Anlegersicht hat er durchaus auch sein Gutes: Anleger können nicht nur in Wachstums- und Gewinnchancen investieren und davon profitieren, sondern auch zu positiven Entwicklungen in der realen Welt beitragen.

Drei wichtige Anlagethemen im Zeitalter der neuen Disruption

1. Klima und Technologie

Im Mai 2021 sagte der US-Klimabeauftragte John Kerry, dass die für das Netto-Null-Emissionsziel erforderlichen Emissionssenkungen zur Hälfte durch Technologien bewirkt werden müssten, die wir noch gar nicht haben. Fortschritte in der Klimatechnologie – von durch Künstliche Intelligenz (KI) betriebenen Märkten für den Ausgleich von CO2-Emissionen bis zu einem besseren Stromnetz – können dazu beitragen, die Auswirkungen der Erderwärmung zu verringern.

In zahlen: investitionen in den Klimaschutz Laut einer Studie von PwC wurden in den 12 Monaten bis zum Juni 2021 insgesamt 87,5 Milliarden US-Dollar in Unternehmen investiert, die den Klimawandel bekämpfen. Im Vorjahr waren es lediglich 24,8 Milliarden US-Dollar gewesen.1 Seit 2013 wurden über 60 % des gesamten Volumens an Wagniskapitalfinanzierungen in Technologien aus den Bereichen Mobilität und Verkehr investiert – unter anderem in Elektrofahrzeuge. (Vgl. Grafik.) Gleichzeitig besteht anscheinend in manchen Sektoren ein Missverhältnis zwischen dem Ausstoß von Treibhausgasen (THG) und dem Kapital, das sie erhalten. So flossen im Betrachtungszeitraum lediglich 9 % der Investitionen in das verarbeitende Gewerbe, das aber 29 % der THG-Emissionen verursachte. Damit ergibt sich für die Anleger eine hervorragende Gelegenheit, neue Klimaschutztechnologien zu finanzieren.

Viele emissionsreduzierende Technologien sind unterfinanziert
Anteil verschiedener Sektoren an den globalen Emissionen und an Wagniskapitalinvestitionen in Klimatechnologie

Diagramm: Viele emissionsreduzierende Technologien sind unterfinanziert
Quelle: PwC „State of Climate Tech“, 2021.

2. Daten und Konnektivität

Nachdem inzwischen so viele Menschen rund um die Welt digital vernetzt sind, verbreiten sich disruptive Innovationen in halsbrecherischem Tempo rund um die Welt. Über 60 % der Weltbevölkerung haben Zugang zum Internet2 – Anfang der Achtzigerjahre waren es nur einige wenige Menschen. Durch diese Konnektivität entstehen jeden Tag 2,5 Trillionen Bytes an neuen Daten3. Gleichzeitig wuchs das Internet der Dinge (IoT)4 im Jahr 2021 um 9 % und umfasst jetzt 12,3 Milliarden Verbindungen5. Und die „6G“-Technologie, in der China derzeit führend ist, könnte 100 Mal so leistungsstark werden wie 5G. Weit über „Smart Homes“ hinaus werden dadurch „smarte Städte“ möglich, was wiederum eine Lösung für wichtige wirtschaftliche, soziale und ökologische Herausforderungen darstellen könnte.

In Zahlen: Weltweit pro Tag generierte Daten Wozu führt nun all diese Infrastruktur (und die Daten, die sie überträgt)? Die nächste Phase des Internet, die manche auch schon als „Metaversum“ bezeichnen, könnte die virtuelle und die Online-Welt näher zusammenbringen. Bestimmt würden viele Schüler und Studierende gern virtuell durch ein altes römisches Dorf spazieren gehen statt nur etwas darüber zu lesen. Und viele Käufer würden ihre neue Küche sicherlich gern virtuell einmal ausprobieren, bevor sie die Handwerker bestellen. Gut positionierte Unternehmen, vor allem aus den Bereichen Konsum, Bildung, Unterhaltung und elektronische Bezahlsysteme, können sich durch das Metaversum neue Ertragsmöglichkeiten erschließen.

3. Mensch und Maschine

Während der gesamten Geschichte haben große evolutionäre Sprünge das Leben vorangebracht – die ursprüngliche „biologische Disruption“. Möglicherweise steht in Kürze ein ähnlicher Moment bevor. Manchen Prognosen zufolge könnte aufgrund von maschinellem Lernen und KI etwa bis 2045 die „Singularität“ eintreten – der Moment, an dem Maschinen klüger werden als Menschen7. Aber selbst wenn dies nie der Fall ist, haben neue Technologien doch weitreichende Auswirkungen auf die Lebensqualität und die Lebenszeit.

Für die Wissenschaft scheint ein eigenes Mooresches Gesetz zu gelten: Neue Technologien werden immer rascher eingeführt, und die Kosten dafür sinken stetig. Der rasch wachsende Bereich der Genomik8 könnte es ermöglichen, genetisch bedingte Krankheiten künftig früher zu diagnostizieren und zu behandeln. Schon heute konnten dank genomischer Erkenntnisse schnell Wege aus der Covid-19-Pandemie gefunden werden. Auf dem Gebiet der Nanotechnologie9 haben Wissenschaftler eine injizierbare „flüssige Retinaprothese“ entwickelt, mit deren Hilfe Blinde möglicherweise eines Tages wieder sehen können.10

Sich auf den „digitalen Darwinismus“ vorbereiten

Die von Charles Darwin und anderen Naturforschern entwickelte Evolutionstheorie stützt sich auf das Prinzip des „survival of the fittest“. In ganz ähnlicher Weise rechnen wir mit einer Neuordnung der Wettbewerbslandschaft, bei der es vor allem auf die Fähigkeit der einzelnen Unternehmen ankommt, sich anzupassen und im neuen Umfeld zu florieren.

Nach dem „winner takes it all“-Prinzip kann aus diesem Rennen um technologische Überlegenheit nur ein Sieger hervorgehen, der dann eine dominierende Stellung einnimmt. Das hat weitreichende Folgen. Man kann durchaus die Auffassung vertreten, dass dies – mehr noch als Handelsfragen – eine grundlegende Ursache für geopolitische Spannungen z.B. zwischen den USA und China ist. Kontrolle über Daten bedeutet Macht. Und da digitale Unternehmen unbedingt Schutz benötigen, ist verlässliche Cybersicherheit ein Muss. Im Jahr 2025 könnte globale Cyberkriminalität Kosten in Höhe von 10,5 Billionen US-Dollar verursachen; 2015 waren es noch 3 Billionen US-Dollar11. Der Sektor wächst rasch: Die globalen Ausgaben für Cybersicherheit dürften sich im Zeitraum von 2021 bis 2025 auf über 1,75 Billionen US-Dollar belaufen.12

Zwei Lehren für Anleger

1. Die Portfoliokonstruktion neu überdenken

Im derzeitigen Niedrigzinsumfeld kommt es vor allem auf das Wachstums- und Ertragspotenzial an. Deshalb ist es sinnvoll, bei der Portfoliokonstruktion einen neuen Ansatz zu wählen, um gegebenenfalls disruptive Chancen zu nutzen. Neben diversifizierten Fonds aus den Kernsegmenten sollten die Anleger unter Umständen folgende Möglichkeiten in Betracht ziehen:

  • Themenbezogenes Investieren kann dabei helfen, die Chancen dieser Disruptionswelle zu nutzen. Themenfonds, die sich z.B. auf „gesundes Leben“ oder „smarte Städte“ konzentrieren, eröffnen Möglichkeiten für die Zukunft und bieten neben der traditionellen Kategorisierung von Investitionen nach Sektoren oder Regionen einen zusätzlichen Filter.
  • Nachhaltigkeit in jeglicher Form ist heutzutage ein wichtiger Faktor beim Investieren. Dies gilt vor allem für den Klimaschutz – schließlich ist der Klimawandel eine durchaus gefährliche Disruption. Glücklicherweise können die Anleger ihre Portfolios so ausrichten, dass sie auch in der realen Welt etwas bewirken. „Grüne“ und „blaue“ Anleihen finanzieren Projekte für den Klimaschutz und den Schutz der Meere. Nachhaltigkeit geht jedoch über den Klimaschutz hinaus und betrifft inzwischen alle Aspekte unseres Lebens. Investitionen, die den nachhaltigen Entwicklungszielen der UN entsprechen, können dazu beitragen, Länder, Organisationen, Unternehmen und Einzelpersonen aus aller Welt zum Schutz des Planeten, zur Abschaffung der Armut und zur Verbesserung des Lebensstandards rund um die Welt zusammen zu bringen. Disruption und Nachhaltigkeit gehen aus Anlegersicht Hand in Hand. Um die Gewinner dieser Disruptionsphase zu identifizieren, müssen mehr denn je Nachhaltigkeitsfaktoren einbezogen werden, damit wir die Resilienz, Erfolg und Langlebigkeit der Unternehmen, in die wir investieren, von Grund auf beurteilen können.
2. Die Möglichkeiten disruptiver Technologien im Investmentprozess nutzen

Um sich die „neue“ Disruption in vollem Umfang zunutze zu machen, sollten die Anleger neue, potenziell disruptive Technologien in ihren Investmentprozess einbauen.

Bedenken Sie, wie viele Faktoren in die Entwicklung langfristiger Anlagelösungen eingehen: Wachstum- oder Value-, fundamentale oder quantitative Ansätze. Die Portfoliomanager müssen Geschäftsmodelle und Bewertungen beurteilen, Nachhaltigkeitsfaktoren analysieren und Managementteams, Corporate Governance und die Unternehmenskultur bewerten. Dabei kommt es entscheidend darauf an, die explosionsartig wachsende Menge an verfügbaren Daten zu Unternehmen und Trends aus zahlreichen Quellen rund um die Welt in Echtzeit unter Kontrolle zu behalten. Und natürlich darauf, diese Daten sorgfältig zu analysieren und sich auf das zu konzentrieren, was wirklich relevant ist.

Bei Allianz Global Investors entwickeln wir laufend Tools, die unsere Portfoliomanager bei der Suche nach finanziellem und „ergebnisorientiertem“ Alpha unterstützen und gleichzeitig Flexibilität bei sich ändernden Marktbedingungen sicherstellen sollen. Im Rahmen unserer Investmentprozesse nutzen wir mehr Daten denn je. Mit Hilfe von KI und linguistischer Datenverarbeitung in mehreren Sprachen können wir immer auf die neuesten Erkenntnisse zugreifen.

Disruption macht erst einmal nervös. Aber wir sind überzeugt, dass man darauf setzen sollte – schlicht, weil sie so große Chancen bietet und weil es dringend erforderlich ist, sie zum eigenen Vorteil zu nutzen.

Exponentielles Wachstum – illustriert am Beispiel eines Reiskorns

Erinnern Sie sich an die indische Legende über den Ursprung des Schachspiels? Der König war ganz begeistert von dem neuen Spiel und fragte den Erfinder, was dieser gern als Lohn hätte. Der Erfinder bat um ein Reiskorn auf dem ersten Feld des Schachbretts, zwei auf dem zweiten, vier auf dem dritten und so weiter. Auf jedem Feld sollte sich die Zahl der Körner verdoppeln. Der König gewährte diesen auf den ersten Blick bescheidenen Wunsch. Auf Feld 64 wären jedoch 18 Trillionen Reiskörner fällig gewesen – genug, um ganz Indien mit einem Meter Reis zu bedecken.

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1. Quelle: PwC, Studie „State of Climate Tech 2021“, Dezember 2021.
2. Quelle: DataReportal: “Digital around the world – global digital insights”, Oktober 2021.
3. Quelle: SeedScientific.com: “How much data is created every day?”, 2018.
4. IoT: die intensiv vernetzte Welt, in der physische Objekte mit Sensoren ausgestattet werden und miteinander verbunden und kontrolliert werden können.
5. Quelle: FirstPoint: “Top 4 challenges in IoT data collection and management", Oktober 2021.
6. Quelle: CloudNine.com: “Perspective on the amount of data contained in 1 gigabyte”.
7. Quelle: Futurism.com “Kurzweil claims that the singularity will happen by 2045”, Februar 2017.
8. Genomik: Kartierung und potenziell Editierung von Genomen, d.h. dem gesamten Satz genetischer Informationen eines Organismus
9. Nanotechnologie: Manipulation der Materie auf molekularer Ebene; ein Nanometer ist ein Millionstel Millimeter.
10. Quelle: DigitalTrends: “Nanotech injection successfully restores vision in blind rats”, Juli 2020.
11. Quelle: Cybersecurity Ventures: “Cybercrime to cost the world $10.5 trillion annually by 2025”, November 2020.
12. Quelle: EINNews.com: “Global cybersecurity spending to exceed $1.75 trillion from 2021-2025”, September 2021.

Investieren birgt Risiken. Der Wert einer Anlage und Erträge daraus können sinken oder steigen. Investoren erhalten den investierten Betrag gegebenenfalls nicht in voller Höhe zurück. Die dargestellten Einschätzungen und Meinungen sind die des Herausgebers und/oder verbundener Unternehmen zum Veröffentlichungszeitpunkt und können sich – ohne Mitteilung darüber – ändern. Die verwendeten Daten stammen aus verschiedenen Quellen und wurden zum Veröffentlichungszeitpunkt als korrekt und verlässlich bewertet. Bestehende oder zukünftige Angebots- oder Vertragsbedingungen genießen Vorrang. Die Vervielfältigung, Veröffentlichung sowie die Weitergabe des Inhalts in jedweder Form ist nicht gestattet; es sei denn dies wurde durch Allianz Global Investors GmbH explizit gestattet.

Quelle: Allianz Global Investors, Februar 2022.

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Über den Autor

 Virginie Maisonneuve

Virginie Maisonneuve

Global Chief Investment Officer Equity

Virginie Maisonneuve ist Global Chief Investment Officer (CIO) Equity und Managing Director bei Allianz Global Investors. Sie kam 2021 zu dem Unternehmen. In ihrer Funktion leitet sie die Entwicklung des Aktienportfoliomanagements und des entsprechenden Anlageangebots des Unternehmens. Sie ist Mitglied des Investment Executive Committee und der International Management Group von AllianzGI.

Ukraine: Vorsicht ist für Anleger das Gebot der Stunde

Marktvolatilität

Zusammenfassung

Russland hat mit der Invasion der Ukraine begonnen. Für die Anleger heißt das: Nach einer Phase mit erhöhter Wachsamkeit sollten sie jetzt bei chancenreichen Vermögenswerten weiterhin ein wachsames Auge haben. Noch ist der weitere Verlauf des Konflikts unklar. Für die Märkte hat er allerdings weitreichende Implikationen, zumal die steigenden Energiepreise die ohnehin schon hohen Inflationsraten noch weiter nach oben treiben werden.

  • Russische Truppen rücken in die Ukraine ein. Wachsamkeit ist daher für die Anleger das Gebot der Stunde, denn der weitere Verlauf des Konflikts ist unklar, und möglicherweise werden die humanitären Kosten gewaltig sein
  • Steigende Rohstoffpreise dürften angesichts der bereits jetzt hohen Inflationsraten negative Folgen haben und könnten sich auf das Wachstum und eventuell die Geldpolitik auswirken.
  • Wir behalten die Marktliquidität genau im Blick und empfehlen eine umsichtige Positionierung.

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