Öl- & Gaskonzerne: Aktive Interessenwahrnehmung statt Desinvestition

Wind- und Solarenergie - Stewardship

Zusammenfassung

Um sicherzustellen, dass die Ölkonzerne zu Wegbereitern der Umstellung auf eine Netto-Null-Emissionen-Wirtschaft bis 2050 werden, sollten Anleger geschlossen vorgehen. Die Welt muss dringend auf eine Energieversorgung aus sauberen Quellen umgestellt werden. Mit Desinvestitionen ist diesbezüglich unserer Ansicht nach wenig zu erreichen.

  • Zugang zu Energie ist ein grundlegendes Menschenrecht: Die Welt braucht eine geordnete und faire Energiewende, für die alle verfügbaren und neu aufkommenden Technologien mobilisiert werden
  • Im Mai 2021 veröffentlichte die IEA einen ehrgeizigen Fahrplan zur Erreichung des Ziels Netto-Null-Emissionen bis 2050, an dem wir uns bei unseren Stewardship-Aktivitäten orientieren werden
  • Die IEA erkennt an, dass die Ölkonzerne eine wichtige Rolle bei der Umsetzung ihres Net-Zero-Fahrplans spielen
  • Eine Desinvestition von Ölkonzernen hätte unbeabsichtigte Folgen und würde kaum einen Beitrag zur Dekarbonisierung der Wirtschaft leisten, sondern das Problem lediglich verlagern

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Der Zusammenhang zwischen Energie und Klimawandel ist komplex

Energie treibt den Fortschritt an und ist für die wirtschaftliche Entwicklung und die Verwirklichung grundlegender Menschenrechte unerlässlich: Rund um den Globus haben fast eine Milliarde Menschen immer noch keinen Zugang zu einer ausreichenden Stromversorgung für einfache Tätigkeiten wie Kochen und Heizen. Das Bevölkerungswachstum und die steigende Wirtschaftsleistung führen jedoch zu einem Anstieg der Treibhausgasemissionen, die größtenteils durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe zur Deckung des Energiebedarfs verursacht werden. Daher gilt es nicht nur, den Klimawandel zu bekämpfen (UN-Nachhaltigkeitsziel 13) – auch der Zugang zu erschwinglicher, zuverlässiger und nachhaltiger Energie muss gewährleistet sein (UN-Nachhaltigkeitsziel 7).

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Der IEA-Pfad zu Netto-Null-Emissionen

Im Mai 2021 skizzierte die Internationale Energieagentur (IEA) ihren Pfad zur Realisierung des Ziels „Netto-Null-Emissionen bis 2050“. Auch wenn dies nicht der einzige mögliche Weg ist, ist dieser Ansatz als offizieller Fahrplan der IEA per se glaubwürdig. Viele Investoren und Unternehmen werden sich daran orientieren, wenn sie ihre Portfolios oder ihre Geschäftsplanung auf das „Net-Zero“-Ziel ausrichten. Die IEA zeichnet einen ehrgeizigen und radikalen Pfad vor.

Laut Dr. Fatih Birol, Executive Director der IEA, zeigt dieser die „massive Lücke zwischen der Rhetorik und dem, was im wahren Leben passiert”.

“Ohne das klare Bild der Herausforderung, das die IEA gezeichnet hat, könnten wir in einer Situation landen, in der Unternehmen und Portfolios dekarbonisiert werden, die Realwirtschaft aber nicht.”

Der IEA-Fahrplan sieht eine beispiellose Transformation des globalen Energiesystems bis 2050 vor: Der globale Energiebedarf wird rund 8% geringer sein als heute, aber diese Energie wird eine mehr als doppelt so große Wirtschaft und eine Bevölkerung mit 2 Milliarden mehr Menschen versorgen.

  • Fast 90% der Stromerzeugung sollen aus erneuerbaren Quellen stammen, wobei Photovoltaik und Wind zusammen fast 70% ausmachen sollen und der Rest größtenteils aus der Kernkraft gewonnen werden soll.
  • Solarenergie wird die größte Energiequelle der Welt sein (ca. 20% der Energieversorgung gegenüber aktuell 1%).
  • Der Öl- und Gasverbrauch wird bis 2050 um 75% bzw. 55% zurückgehen.
  • Es wird kein Bedarf an neuen Öl- und Gasförderungen bestehen, und die verbleibende Nachfrage wird von kostengünstigen Produzenten gedeckt werden. Der Marktanteil der OPEC-Länder (Organisation erdölexportierender Länder) wird von derzeit 37% auf 52% steigen.
  • Alle verbleibenden Kohlekraftwerke werden Technologien einsetzen, die umweltschädliche Emissionen beseitigen.

Die IEA hat mehr als 400 Meilensteine definiert, die es einzuhalten gilt, damit die weltweiten Staaten ihr Ziel erreichen, die globale Erwärmung auf maximal 1,5°C über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen.

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Desinvestitionen führen nicht zur Dekarbonisierung der Wirtschaft 

Mit Desinvestitionen lässt sich der Klimawandel kaum bekämpfen. Sie verlagern die Problematik nur. Wenn verantwortungsvoll anlegende, aktive Investoren Divestment-Strategien verfolgen, werden weniger verantwortungsvoll agierende Investoren (oder Investoren, die weniger Reputationsrisiken und Regulierungsdruck ausgesetzt sind) ihren Platz einnehmen und Geschäftsmodelle von Unternehmen finanzieren, die einfach so weitermachen wie bisher.

Auf die großen Öl- und Gaskonzerne entfallen nur 12% der weltweiten Reserven, 15% der Produktion und 10% der geschätzten operativen Emissionen der Industrie. Die Gewinner der Divestment-Bewegung wären staatseigene Unternehmen und nationale Ölkonzerne, die den Großteil der weltweiten Reserven besitzen. Wie das Klima davon profitieren würde, ist unklar.

In Anbetracht der Bedeutung der Einnahmen aus fossilen Brennstoffen für das Wirtschaftswachstum und die soziale Stabilität ist es fraglich, ob die Petrostaaten bereit wären, auf die Monetarisierung ihrer Reserven zu verzichten, um die globale Erwärmung einzudämmen. Laut IEA-Fahrplan würden die Einnahmen der OPEC und anderer erdölexportierender Länder aus dem Kohlenwasserstoffgeschäft um 75% einbrechen.

Ebenso wichtig ist es, Einfluss auf die Struktur der Energienachfrage zu nehmen. Mehr als die Hälfte der im Netto-Null-Pfad der IEA vorgesehenen kumulativen Umstellung des Energieverbrauchs auf grüne Energie hängt an Entscheidungen der Verbraucher. Daher müssen die Regierungen die nötigen rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen für eine Neuausrichtung der Geschäftspläne der Unternehmen und eine Veränderung der Konsumgewohnheiten schaffen.

“Wir brauchen eine geordnete Energiewende, für die alle aktuell verfügbaren und neu aufkommenden Technologien mobilisiert werden. Globale Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz sind unerlässlich.”

Chart: Staatliche und nationale Unternehmen führen die Ölförderung im Jahr 2020 an
1.000 Barrel Öl pro Tag
Chart: Staatliche und nationale Unternehmen führen die Ölförderung im Jahr 2020 an 1.000 Barrel Öl pro Tag

In diesem kritischen Bereich können bedeutende Emissionssenkungen erzielt werden, während gleichzeitig

  • das Wirtschaftswachstum gefördert,
  • die Luftverschmutzung verringert und
  • Kosteneinsparungen für Verbraucher realisiert werden.

Erneuerbare Energien spielen in Kombination mit Erdgas (das als Übergangsbrennstoff für die Stromerzeugung angesehen wird, da es nur halb so viele Treibhausgasemissionen verursacht wie Kohle) und unterstützt durch Batteriespeicher eine wichtige Rolle.

Grüner Wasserstoff ist eine glaubwürdige Option, auch wenn er in größerem Umfang nachgefragt werden muss, um wirtschaftlich tragfähig zu werden. Nachhaltige Biokraftstoffe können konventionelle Kraftstoffe ersetzen. Die Abscheidung, Nutzung und Speicherung von Kohlenstoff (Carbon Capture, Usage and Storage, CCUS) wird häufig von der Öl- und Gasindustrie sowie von energieintensiven Sektoren wie der Stahl- und Zementindustrie gefördert, um Treibhausgasemissionen zu reduzieren. Allerdings fehlt es dieser Technologie derzeit an politischer Unterstützung und gesellschaftlicher Akzeptanz sowie eines Preissignals in Form einer globalen Kohlenstoffsteuer. Naturbasierte Lösungen wie Aufforstungen oder die Renaturierung von Feuchtgebieten können dazu beitragen, Emissionen zu vermeiden, zu verringern und auszugleichen, sofern ihre diesbezügliche Eignung von unabhängiger Seite verifiziert wird.

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Die großen Ölkonzerne verfügen über wichtige Kompetenzen, mit denen sie die Energiewende unterstützen können

Die IEA erkennt auch an, dass die großen Ölkonzerne eine Rolle bei der Umsetzung ihres Fahrplans spielen müssen.1 Diese Unternehmen verfügen über die globale Reichweite, die nötige Erfahrung mit dem Management von Großprojekten, gute Beziehungen zu Regierungen und die erforderliche kommerzielle Expertise, um die Volatilität entlang integrierter Energiewertschöpfungsketten zu steuern. Die europäischen Ölkonzerne beteiligen sich zusammen mit spezialisierten Infrastrukturinvestoren erfolgreich an Auktionen für erneuerbare Energieprojekte und setzen sich ehrgeizige mittel- und langfristige Kapazitätsziele. Trotz allem gelten die großen Ölkonzerne gemeinhin als Teil des Problems.

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Der Klimawandel und die Endlichkeit knapper Ressourcen sind zwei Seiten derselben Medaille – und miteinander verknüpft

Wir halten es für wichtig, einen differenzierten Ansatz zu verfolgen, der die Treibhausgasemissionen aller Energiequellen über ihren gesamten Lebenszyklus hinweg berücksichtigt und vergleicht.

Erneuerbare Energien sind von Natur aus schwankend und diese Schwankungen müssen durch

  • Kernkraft (dekarbonisiert, aber umstritten),
  • Erdgas oder – im schlimmsten Fall –
  • Kohle

ausgeglichen werden. Die Herstellung von Solarmodulen und Windturbinen ist nicht nur CO2-intensiv, sondern wirft auch erhebliche Fragen in Bezug auf ihre Stilllegung und ihr Recycling auf. Die Ausschöpfung der natürlichen Ressourcen muss sorgfältig überwacht werden. Das gilt insbesondere für Seltene Erden, die für die Herstellung von Solarzellen und Batterien benötigt werden.

“Die IEA schätzt, dass die jährliche Nachfrage nach kritischen Mineralien von etwa 7 Millionen Tonnen im Jahr 2020 auf 42 Millionen Tonnen im Jahr 2050 ansteigen wird.”

Sie räumt ein, dass diese Nachfrage aufgrund der im Vergleich zu fossilen Brennstoffen geografisch deutlich begrenzteren Vorkommen an Seltenen Erden viel konzentrierter sein wird. Die damit potenziell verbundenen Engpässe müssten adressiert werden.

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Die Ölkonzerne müssen sich klar zur Klimaneutralität bekennen

Damit wir ihnen wirklich abnehmen, dass sie einen konstruktiven Beitrag zur Energiewende leisten wollen, müssen die Ölkonzerne ihr Bekenntnis zur Dekarbonisierung eindeutig unter Beweis stellen, z.B. durch:

  • Umsetzung der Empfehlungen der Taskforce on Climate-Related Financial Disclosures
  • Eine konsistentere Berichterstattung zu Klimarisiken
  • Den Beitritt zur Science-Based Targets Initiative und die Mitarbeit am Rahmenabkommen für die Dekarbonisierung der Öl- und Gasindustrie
  • Eine Verpflichtung zu Netto-Null-Emissionen bis 2050 sowie die Festlegung von Zwischenzielen
  • Eine transparente und glaubwürdige Berichterstattung über Fortschritte bei der Senkung der Scope-1- und Scope-1-CO2-Emissionen sowie der bedeutendsten Scope-3-Emissionen
  • Eine Auseinandersetzung mit den Methan-Emissionen als erstem Schritt zu wirklich grünem Erdgas
  • Überwachung ihrer Lobbyaktivitäten, um sicherzustellen, dass diese nicht im Widerspruch zu ihrem Engagement für eine kohlenstoffarme Wirtschaft stehen
  • Ausbau ihres Erneuerbare-Energie-Geschäfts
Wir planen, künftig alle Ölkonzerne dazu aufzufordern, ihre Klimastrategien zur Abstimmung auf ihren Hauptversammlungen zu stellen. Nur durch eine hohe Transparenz können diese Unternehmen von ihren Investoren für ihre Dekarbonisierungsstrategien zur Rechenschaft gezogen werden. Wie wir selbst abstimmen, wird von den Fortschritten unseres Engagements mit den Verwaltungsräten dieser Unternehmen abhängen. Ein kritischer Dialog mit den Unternehmen ist unverzichtbar. Mit aktiver Interessenwahrnehmung meinen wir aber auch ein Engagement auf politischer Ebene, sowohl individuell als auch gemeinsam mit anderen Akteuren.

  

 

 


1. IEA World Energy Outlook, Januar 2020, S. 160 ff.

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